Tabu in Gefahr: Gewerkschaftsritt "auf der Rasierklinge"

Tabu Gefahr Gewerkschaftsritt Rasierklinge
Tabu Gefahr Gewerkschaftsritt Rasierklinge(c) Clemens Fabry
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Rütteln an Kollektivverträgen, äußere und innere ÖGB-Gegner anno 2012: Keiner kennt sie derzeit so gut wie Vida-Chef Kaske. Er wird heuer wieder zur Mai-Kundgebung der SPÖ auf den Wiener Rathausplatz marschieren.

Wien. „Ich bin ein Arbeiterkind.“ Die Herkunft aus einer Arbeiterfamilie in Wien Leopoldstadt ist aber nicht der Hauptgrund, warum der nun 56-jährige Rudolf Kaske heuer wieder über den Ring zur Mai-Kundgebung der SPÖ auf den Wiener Rathausplatz marschieren wird. „Die sozialen Probleme haben sich zugespitzt“, warnt er mit Verweis auf 5,5 Millionen arbeitslose Jugendliche in der EU. Der Mann mit der modischen Brille hat als Kochlehrling im Hotel Intercontinental angefangen und hat jetzt sein Büro als Vorsitzender der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft Vida in der neuen ÖGB-Zentrale an der Donau.

Wie kein anderer im ÖGB hat Kaske in den vergangenen Wochen die Schwierigkeiten und Herausforderungen für einen Spitzenfunktionär der Gewerkschaft in der Arbeitswelt anno 2012 hautnah miterlebt: die Turbulenzen um die AUA-Sparmaßnahmen, murrende Betriebsräte, einen starken Mitgliederschwund im Vorjahr, aber auch nach Protestaktionen einen kräftigen Lohnabschluss für 80.000 Beschäftigte in privaten Sozial- und Pflegeeinrichtungen.

Die Österreicher haben den alles andere als hemdsärmeligen Vida-Chef in den vergangenen Wochen im Abwehrkampf gegen Gehaltsschnitte durch das AUA-Management im TV erlebt. Kein Feinschmeckermenü für den ehemaligen Koch. Denn mit der Kündigung des Kollektivvertrags bei der Tyrolean als „Vorsichtsmaßnahme“ hat der Gewerkschafter Belegschaftsvertreter und Betriebsräte so erzürnt, dass eine Hundertschaft Ende März vor der ÖGB-Zentrale auf die Straße gegangen ist. Die AUA habe schon zuvor der Gewerkschaft „den Sessel vor die Tür gestellt“, erinnert Kaske, der ein hohes Risiko eingegangen ist. Mit der sich abzeichnenden Einigung habe er in einer schwierigen Situation doch richtig taktiert, attestieren selbst schwarze Christgewerkschafter.

„Unser Job ist der Ritt auf der Rasierklinge“, erklärt Kaske der „Presse“. In der knapp 150.000 Mitglieder zählenden Vida sind so unterschiedliche Berufsgruppen wie die gut gestellten AUA-Beschäftigten, die machtbewussten roten Eisenbahner und die mit niedrigen Löhnen kämpfenden Bediensteten im Gastgewerbe und im Sozial- und Pflegebereich vereint. Und die vom ÖGB viel beschworene Geschlossenheit? „Die Solidarität ist endenwollend, das ist aber nicht österreichspezifisch“, räumt Kaske ein.

Im AUA-Konflikt ist eine Säule der Zweiten Republik, die Stabilität von Kollektivverträgen, Kernelement der Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ins Wanken geraten. Vida-Ziel bleibt ein Konzern-Kollektivvertrag für die Luftfahrt, damit Arbeitnehmer nicht wie bei Tyrolean gegen AUA ausgespielt werden könnten. Dem einen oder anderen ist Kaske, der sich im Apparat hochgedient hat und als Anwärter für das Arbeiterkammerpräsidentenamt gilt, zu nett und zu glatt. Seine Handschlagqualität wird geschätzt. Aber in bestimmten Fällen kann der Mann, der sich als „Schlichter“ sieht, auch Ecken und Kanten zeigen. Sein Ausspruch, „Wenn das Arbeitslosenheer marschiert, dann brennt die Republik“, hat ihm 2000 zu Bekanntheit verholfen. Neben Kritik habe es viel Zustimmung gegeben, schildert er rückblickend.

Wien ist ein „Krisenzentrum“ des ÖGB

Der Gegner ist nicht nur der Klassenfeind. Der Vida-Chef kämpft gerade auch intern mit Schwierigkeiten: Nach der Fusion 2006 mit der Eisenbahnergewerkschaft existierten noch immer „zwei Kulturen“, beklagen Kritiker. Zudem wurde die Vida-Geschäftsführung getauscht und 2011 gab es mit minus 4109 Mitgliedern den größten Aderlass aller sieben ÖGB-Teilgewerkschaften.

ÖGB und Vida bekommen die Veränderungen in der Arbeitswelt besonders zu spüren: Jobwechsel werden häufiger. Dabei gehen dem ÖGB besonders viele Mitglieder verloren. Ein Phänomen, das Gewerkschaftern von Präsident Erich Foglar abwärts vor allem in Wien viel Kopfzerbrechen bereitet.

Auf einen Blick

Rudolf Kaske (56) war ab 1974 Jugendsekretär, ab 1987 Zentralsekretär in der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönliche Dienste, ab 1995 Vorsitzender. Seit 2006 führt er die Vida, eine der sieben ÖGB-Teilgruppen. Er ist ÖGB-Arbeitsmarktsprecher. [AP]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2012)

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