Russland: „Es war eine der fairsten Wahlen der Welt“

Die Presse
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Wladimir Tschurow, Chef der russischen Wahlkommission, wehrt sich gegen Fälschungsvorwürfe und sieht Mängel bei der Wahlorganisation in Europa.

Die Presse: Herr Tschurow, wie lautet Ihre Definition von „fairen“ und „unfairen“ Wahlen?

Wladimir Tschurow: Faire Wahlen sind solche, die den Gesetzen entsprechend abgehalten werden; unfaire Wahlen sind solche, die das Gesetz verletzen.

Nach den Duma-Wahlen vom Dezember 2011 gingen die Menschen mit der Parole auf die Straßen, es seien „unfaire Wahlen“ gewesen.

Das sind unfaire Losungen. Aber die Wahlen waren fair. Die Präsidentenwahl vom 4. März war eine der fairsten und transparentesten Wahlen der Welt.

Offenbar sehen das nicht alle so. Viele fordern Ihren Rücktritt. Beunruhigt es Sie nicht, dass Ihre Person derart harsche Reaktionen herausfordert?

Das beunruhigt mich überhaupt nicht. Die Rolle meiner Person in dieser Geschichte wird übertrieben. Anstatt sich um die Unterstützung der Oppositionskandidaten zu kümmern, haben gewisse Aktivisten entschieden, gegen mich zu kämpfen. Das ist ein reines Ablenkungsmanöver von den wirklich wichtigen Fragen heutzutage.

Selbst der Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft beim russischen Präsidenten hat Ihnen den Rücktritt nahegelegt.

Die Leute dort sind doch Outsider!

Der Rat ist ein staatliches Organ.

Das ist ein Expertenrat. Ich habe auch so einen Rat in der Wahlkommission mit 190Personen, die mich beraten.

Sind das auch Outsider?

Nein. Sie haben auch nicht meinen Rücktritt gefordert. Ehrlich gesagt: Auf Dummheiten wie diese reagiere ich ganz ruhig. Es gibt eine ganz klare Vorgangsweise – sollen sie doch beweisen, dass ich die Wahlen gefälscht habe, bitte sehr.

Es wurde vor allem auch kritisiert, dass es in Russland am strukturellen Umfeld krankt: Es gibt keine wirkliche Konkurrenz unter den Kandidaten, in den Massenmedien bekommen die Regierungskandidaten ungleich mehr Zeit.

Das ist Politik, damit beschäftige ich mich nicht. Alle objektiven Beurteilungen sagen, dass die russischen Wahlen eine der besten Europas waren, was ihre Durchführung betrifft. Alles andere tangiert mich nicht. Die OSZE und der Europarat haben uns große Komplimente gemacht: So eine Offenheit und Zusammenarbeit kennen sie aus anderen Ländern nicht. Nach Initiative des damaligen Premiers Putin hat Russland Webkameras in 98 Prozent der Wahllokale installiert und die Arbeit der Wahlkommissionen direkt im Internet übertragen. Das ist einzigartig. Andere Staaten wollen uns das gleichtun, nur das alte Europa sagt: Ach, das brauchen wir nicht, bei uns ist ohnehin alles gut.

Und das ist es nicht?

Nein. Wenn wir den Wahlprozess nicht im Internet übertragen, sind das doch keine richtigen Wahlen. Das ist ja wie im 19. Jahrhundert!

Und wie ist es möglich, dass in Tschetschenien mehr als 99 Prozent für Putin gestimmt haben?

Na das liegt am aul, an der Dorfgemeinschaft. In Tschetschenien sind die Wahlen absolut frei.

Sie wollen damit sagen, so ein Wahlverhalten sei normal?

Ja. Sie können alles auf Video nachverfolgen. Das liegt an den dortigen Traditionen: Alle Dorfbewohner wählen einen Kandidaten. Wie ist es denn bei Ihnen in Tirol?

Vermutlich nicht ganz so uniform. Eine andere Frage: Was meinte der frühere Präsident Dmitrij Medwedjew eigentlich damit, als er Sie im Dezember 2011 einen „Zauberer“ nannte?

Ich darf bis zur Wahl nur eine Zahl prognostizieren: die der Wahlbeteiligung. Und ich habe sehr genau vorhergesagt, wie viel Prozent der Bevölkerung teilnehmen werden. Er wollte sagen, es sei erstaunlich, dass ich das so genau weiß.

Diese Aussage wird nun – ironisch – gegen Sie verwendet.

Sollen die Idioten nur reden.

Warum haben Sie im Mai von Medwedjew den Alexander-Newskij-Orden entgegengenommen?

Warum nicht? Ich liebe Orden, es ist mein dritter. Ich habe ihn für Verdienste im Zusammenhang mit der Organisation der Wahlen erhalten. Das ist eine staatliche Aufgabe. Ich habe davor bereits einen höheren Orden für Verdienste um das Vaterland vom damaligen Präsidenten Putin bekommen. Sehen Sie, ich wurde bereits von zwei Präsidenten ausgezeichnet.

Ein dritter wird sehr bald wohl nicht dazukommen.

Glauben Sie, den erlebe ich nicht mehr? (lacht) Warten wir's mal ab.

Zur Person

Wladimir Tschurow (geb. 1953) ist seit März 2007 Leiter der russischen Zentralen Wahlkommission (ZIK). Der studierte Physiker gilt nach der Wahl zur Staatsduma im Dezember 2011 und nach den Präsidentenwahlen vom März 2012 als äußerst umstrittene Persönlichkeit. Zu Wien hat er eine persönliche Beziehung: Sein Großvater, General Breschnew, kommandierte die sowjetische Artillerie beim Sturm auf Wien; sein Name ist im Rotarmisten-Denkmal am Schwarzenbergplatz eingraviert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2012)

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