Endkampf um die Macht in Damaskus

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Die Aufständischen erhöhen den Druck auf das Regime von Bashar al-Assad. Gerüchte über eine Flucht des Diktators wurden laut. Vier Szenarien, wie es weitergehen könnte.

Es war zunächst nicht klar, wo und wann genau die Aufnahmen gemacht worden waren: Syriens staatliches TV strahlte am Donnerstag erstmals seit dem Anschlag auf den engsten Führungskreis des Regimes Bilder von Präsident Bashar al-Assad aus. Sie zeigten den Machthaber bei der Angelobung des neues Verteidigungsministers, Fahad Jassim al-Freij. Freijs Vorgänger war bei dem Attentat am Mittwoch ums Leben gekommen. Einer von Assads Beratern beteuerte, dass sich der Machthaber nach wie vor in der Hauptstadt befinde und von dort aus „die Geschicke des Landes lenkt“. Zuvor hatten Syriens Opposition und westliche Diplomaten berichtet, Assad sei in die Küstenstadt Latakia geflüchtet.

Moskau blockiert erneut

Die Rebellen erhöhten den Druck. Augenzeugen berichteten von Gefechten beim Präsidentenpalast. Auch das Polizeipräsidium in Damaskus soll angegriffen worden sein. Laut der „Kleinen Zeitung“ sollen in den vergangenen Tagen auch mehrmals Kämpfer auf die Golanhöhen vorgerückt sein, auf denen österreichische Blauhelme den Waffenstillstand zwischen Israel und Syrien überwachen. Zu Zusammenstößen mit den UN-Truppen sei es aber nicht gekommen. Russland und China verhinderten im UN-Sicherheitsrat erneut eine Resolution, die Damaskus mit Sanktionen droht. Nun sind mehrere Szenarien möglich.

1 Rückzug in alawitische Hochburgen: Das Land wird geteilt

In Syriens Küstenregion liegen die Hochburgen der Alawiten, denen Machthaber Assad und ein Teil der Führungsschicht angehören (siehe Grafik). Die Alawiten gelten als frühe Abspaltung des schiitischen Islam. Sie haben aber sehr eigene Rituale, glauben etwa an Seelenwanderung und sehen den Koran nicht als einzig gültige heilige Schrift, was sie von anderen islamischen Richtungen unterscheidet.
Sollte Assad tatsächlich in die Küstenstadt Latakia geflohen sein, könnte das ein erster Schritt einer größeren Rückzugsoperation sein. Syriens Führung könnte sich in dem Gebiet einigeln, das vor allem von Alawiten, Christen und Schiiten besiedelt wird. Diese Gruppen stehen zum Teil nach wie vor auf der Seite des Regimes. Präsident Assad kann zudem auf Eliteeinheiten wie etwa die Vierte Panzerdivision zurückgreifen, die sich fast ausschließlich aus Alawiten rekrutiert und von seinem jüngeren Bruder Maher al-Assad kommandiert wird.
Das Resultat wäre eine Teilung Syriens: Während sich Assad mit seinen Getreuen im Westen Syriens festsetzt, würden die Aufständischen sukzessive die Kontrolle über den Rest des Landes übernehmen.

2 Politische Lösung: Machthaber Assad geht ins Exil

Der wachsende Druck auf Assad könnte ihn dazu bewegen, doch noch die Macht abzugeben und ins Exil zu gehen. Für ihn wird es aber immer schwieriger, einen Zufluchtsort zu finden. Im arabischen Raum würde ihm niemand mehr Asyl gewähren. Ein mögliches Exilziel wäre Russland. Moskau will aber davon derzeit offiziell nichts wissen: Ein Berater Wladimir Putins wies am Donnerstag Gerüchte zurück, der russische Präsident habe bei seinem jüngsten Telefongespräch mit US-Präsident Obama über eine Asyllösung für Assad verhandelt. Auch der Iran könnte Assad und seine Familie aufnehmen. Als ihr „Schutzherr“ ist der Diktator aber auch alawitischen Clans verpflichtet, die er beim Gang ins Exil im Stich lassen würde.

3 Endloser Bürgerkrieg: Assad hält sich weiter an der Macht

Trotz der jüngsten Rebellenoffensive könnte es Machthaber Assad doch noch gelingen, die Kontrolle über das Zentrum der Hauptstadt Damaskus zu behalten und die Aufständischen in ihren Hochburgen wie Homs und Hama unter Druck zu setzen. Dazu müsste Assad noch stärker als bisher auf schwere Waffen wie Panzer, Artillerie und Hubschrauber zurückgreifen. Syriens Führung hat schon in der Vergangenheit nicht vor dem Beschuss von Wohngebieten zurückgeschreckt. Eine Fortsetzung dieser Politik würde im ganzen Land massive Verwüstungen anrichten. Trotz ihrer Feuerüberlegenheit werden die Regierungstruppen den Aufstand aber nicht niederschlagen können. Das Resultat: ein langer, blutiger Krieg.

4 Zusammenbruch des Regimes: Rebellen erzielen raschen Sieg

Der jüngste Anschlag in Damaskus zeigt, wie weit der Arm der Rebellen bereits in den engsten Führungszirkel des Regimes reicht. Die Aufständischen brauchen Komplizen in höchsten Kreisen, um solche Aktionen durchführen zu können. Zuletzt sagten sich mehrere Regimefunktionäre von Assad los. Sollte ein Teil der Führung wegbrechen und mit dem Widerstand kollaborieren, wären Assads Tage als Herrscher endgültig gezählt. Dann könnten die Rebellen relativ rasch die Kontrolle über Damaskus und den Rest des Landes übernehmen. Eine wichtige Rolle kommt der sunnitischen Elite aus Militärs und Geschäftsleuten zu. Dieser würde es leichter als dem alawitischen Teil des Regimes fallen, sich auf die Seite des Widerstands zu schlagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2012)

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