Der Niedergang eines mächtigen Familienclans

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40 Jahre lang hielten die Assads die syrische Führung fest in der Hand. Doch die Macht der Alleinherrscher bröckelt – und Gerüchte über die Flucht der Angehörigen häufen sich.

Wien/Damaskus. Die vergangenen Monate sind die Geschichte des stetigen Verlusts dessen, was die Familie Assad in den vergangenen 40 Jahren selbstverständlich inne hatte: Macht. Der Schwund der Macht begann langsam, fast unmerklich. Zunächst das EU-Einreiseverbot für Asma al-Assad, der Ehefrau von Präsident Bashar al-Assad. Wirklich unangenehm. Dann das Einfrieren des in Schweizer Banken gelagerten Vermögens der Assads im April. Ärgerlich. Dann ging es Schlag auf Schlag. Die öffentlichen Auftritte der Familie Assad, früher omnipräsent, wurden so gut wie gestrichen; über den Aufenthaltsort der einzelnen Familienmitglieder ranken sich seit Wochen Gerüchte. Es ist eines der am besten gehüteten Geheimnisse des Regimes dieser Tage.

Es ist nicht anders vorstellbar, als dass im Familienclan der Assads mittlerweile die Angst umgehen muss. Die Lage derer, deren Leben einst bestens geschützt war, ist lebensbedrohend geworden.

Begräbnis ohne Präsident Assad

Was passiert, wenn die bewaffnete Opposition dieser Tage den Aufenthaltsort eines Familienmitglieds erfährt, musste Assef Shawkat erleben. Der 62-jährige Schwager von Präsident Assad – Gatte von Assads älterer Schwester Bushra – wurde am Mittwoch durch eine Bombe in Damaskus getötet. Bei seiner gestrigen Beerdigung war nur Assads jüngerer Bruder Maher anwesend. Der Präsident zeigte sich nicht. Die Leiche Shawkats, der eine Karriere im Geheimdienst hinter sich hatte und bis zu seinem Tod Vize-Kommandant der Armee war, sollte am Freitag in Assads Heimatort Kardaha, nahe der Mittelmeerstadt Tartus, gebracht werden.

Es gibt Menschen, die auch Assads übrige Familienmitglieder dort vermuten. Asma soll sich angeblich mit ihren drei minderjährigen Kindern Hafez, Zein und Karim in Kardaha aufhalten. Verwunderlich wäre es nicht. Der Rückzug in sichere Gefilde ist eine Strategie, die bedrohte Autokratenfamilien auch in anderen Ländern ausprobiert haben – Muammar Gaddafi etwa, der sich in seiner Geburtsstadt Sirte verschanzte, oder Saif Gaddafi, der sich später zu den Tuareg in die Wüste flüchtete. Die andere Option ist die Flucht ins Ausland: Gerüchte, wonach sich Asma bereits in Russland aufhalte, halten sich hartnäckig. Offiziell bestätigt wurde bisher keine der beiden Versionen.

Theoretisch könnte die Präsidentengattin trotz EU-Sanktionen nach Großbritannien einreisen – sie, die lange Zeit als fortschrittliche Frau eines reformwilligen Präsidenten gegolten hatte, wurde in eine wohlhabende Arztfamilie in London geboren. Die 36-Jährige, die von ihren Schulkollegen stets „Emma“ genannt wurde, ist im Besitz der britischen Staatsbürgerschaft. Die Sunnitin, die als Investmentbankerin bei JPMorgan gearbeitet hatte, übersiedelte erst nach ihrer Heirat im Jahr 2000 nach Syrien, wo sie ihre prominente Schwiegerfamilie kennen lernte. Wie viel Einfluss Asma in besseren Tagen in der Assad-Dynastie gehabt hat, ist unter Experten eine Streitfrage. Überliefert ist, dass zwischen ihr und Bushra al-Assad, der älteren Schwester von Bashar, ein unterkühlter Umgangston herrscht. Bushra soll Asmas „westliches“ Profil missfallen haben; sie selbst zieht es offenbar vor, im Inneren des Clans die Fäden zu ziehen.

Mutter und „Matriarchin“ Anisa

Neben Assads jüngerem Bruder Maher (s. Porträt des Tages) spielt auch seine Mutter Anisa eine tragende Rolle. Von der CNN wird sie etwa als „Matriarchin“ bezeichnet, die die Familie Assad zusammenhält. Anisa ist aber auch das Bindeglied, das durch ihre Heirat mit Hafez al-Assad ihrer eigenen Familie zum sozialen Aufstieg verhalf. Insbesondere ihre Neffen Rami und Hafez Machluf bekleiden wichtige Posten. Rami Machluf hat durch dubiose Privatisierungen das größte Firmenimperium des Landes aufgebaut; Hafez Machluf hat eine führende Position beim Geheimdienst in Damaskus inne. Er und seine beiden jüngeren Brüder, die Zwillinge Ihab und Ijad, sollen für die Verfolgung von Demonstranten verantwortlich sein.

Auch ein schwarzes Schaf gibt es in der Assad-Dynastie: Rifaat al-Assad, ein jüngerer Bruder des 2000 verstorbenen Altpräsidenten, lebt in Europa im Exil. Seine Rolle als Oppositionspolitiker ist jedoch umstritten. Und dann sind da noch jene beiden Geschwister Bashars, die unter mysteriösen Umständen umgekommen sind. Majd starb im Jahr 2009 nach „langer Krankheit“; Basel 1994 durch einen Autounfall. Es heißt, dass ursprünglich Basel als Nachfolger auserkoren war. Erst nach seinem Tod fiel die Wahl auf Bashar. Der zweite Regent des Assad-Clans könnte als sein letzter in die Geschichte eingehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2012)

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