Syrien: Washingtons Angst vor einem "failed state"

Symbolbild
Symbolbild(c) REUTERS (ALI HASHISHO)
  • Drucken

Die Regierung Obama sieht ein Ende des Regimes von Syriens Präsidenten Bashar al-Assad als Schwächung Teherans. Die USA gewönnen hingegen mehr Handlungsspielraum. Der Risken ist man sich allerdings bewusst.

Washington. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass die Zeit des Assad-Regimes in Syrien ausläuft, wird er in den USA in einer besonderen Absetzbewegung gesehen: Tausende Flüchtlinge aus dem Irak kehren dieser Tage aus dem benachbarten Syrien in ihre keineswegs sichere Heimat zurück.

Im Weißen Haus gibt es inzwischen täglich hochrangige Besprechungen zur Entwicklung in Syrien. Präsident Barack Obama habe Bemühungen um eine Verhandlungslösung eingestellt, berichtet jetzt die „New York Times“.

Chancen und Gefahren

Doch gar so frisch ist die Erkenntnis der Regierung keineswegs, dass die Herrschaft Bashar al-Assads zu Ende geht. Schon vergangenen Herbst zeigten sich hochrangige Mitarbeiter des Weißen Hauses überzeugt, der Assad-Clan habe den Kampf um die Macht verloren, der Sieg der Rebellen sei nicht mehr zu verhindern.

Aus US-Perspektive verbinden sich Gefahren, aber auch Chancen mit dem Sturz Assads. Gefahren werden darin gesehen, dass mit den Rebellen sunnitisch-islamistische Kräfte an die Macht drängen. Syrien könnte zu einem „failed state“, einem gescheiterten Staat werden, der von Religionskriegen zerrissen wird wie einst der benachbarte Libanon. Immerhin reklamierte die Rebellengruppe „Liwa al-Islam“ (Brigade des Islam) nicht nur die Verantwortung für das Bombenattentat vergangene Woche gegen Spitzen der Sicherheitskräfte, sondern angeblich auch für Attacken gegen Christen im Damaszener Bezirk Bab Tuma und die Ermordung einer christlichen Familie. Christen wie Drusen könnten bald zu den Verfolgten in Syrien gehören, weil ihnen Unterstützung Assads vorgeworfen wird.

Iran verliert wichtigsten Partner

Vorteile werden in Washington hingegen darin gesehen, dass der Iran mit dem Ende des Regimes seinen wichtigsten Partner in der Region verliert. Das würde einen gewaltigen Machtverlust für Teheran bedeuten. Die USA, die sich ohnehin künftig stärker auf den asiatisch-pazifischen Raum konzentrieren wollen, gewönnen hingegen mehr Handlungsspielraum.

Die Folgenabschätzung war aber so schwierig, dass die USA mit dem Status quo der vergangenen Monate recht gut leben konnten: Sie forderten mit Europäern und Arabischer Liga schärfere Sanktionen gegen Damaskus und durften sich darauf verlassen, dass Russland und China die regelmäßigen Anträge im UN-Sicherheitsrat blockieren würden.

In dieser Simulation von Aktionismus hatten Peking und Moskau den Schwarzen Peter und bescherten Washington ein hervorragendes Alibi für die eigene faktische Tatenlosigkeit.

Die – später relativierte – Drohung des Regimes, Chemiewaffen gegen Angreifer von außen einzusetzen, erhöht jedoch den Handlungsdruck für Washington. Obama habe gegenüber der Regierung Damaskus „klargemacht, dass es ihre Verantwortung ist, die Arsenale zu sichern, und sie zur Verantwortung gezogen werde, wenn sie das nicht tue“, sagte James Carney, Sprecher der Weißen Hauses.

Washington gegen Militäraktion

Auf israelische Vorschläge, Assads Massenvernichtungswaffen durch Militäraktionen auszuschalten, soll Washington gleichwohl ablehnend reagiert haben, auch, weil man fürchtet, in eine militärische Auseinandersetzung hineingezogen zu werden. Washington will den Einsatz von Bodentruppen in jedem Fall vermeiden. Zum einen bleibt der Irak ein warnendes Beispiel für langfristige teure und blutige Verstrickungen. Zum anderen droht die Möglichkeit, dass Israel im Spätsommer oder Herbst einen Militärschlag gegen Irans Atomanlagen durchführt und die USA in einen daraus resultierenden Konflikt oder Krieg hineingezogen werden. Ein paralleles militärisches Engagement in Syrien könnte die Kräfte der USA überdehnen.

Für alle Fälle hat das Pentagon jedoch Planungen vorgenommen, welche Truppenteile in welcher Zahl und zu welchen Kosten eingesetzt werden müssten, sollte ein Bürgerkrieg in Syrien dies erfordern. Zu möglichen Szenarien gehören die Einrichtungen von Flugverbotszonen und die Sicherung von chemischen Waffen.

Zeit des Einflusses geht vorüber

Das amerikanisch-russische Muskelspiel über den Syrien-Konflikt kann nicht davon ablenken, dass die Zeit auswärtigen Einflusses auf den Nahen Osten zurückgeht. Der Irak entzieht sich immer mehr Washingtoner Bevormundung, vom Iran ganz zu schweigen. Und der sogenannte Arabische Frühling zeigt klar die Grenzen amerikanischer, aber auch europäischer oder russischer Wirkungsmacht auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.