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Pussy Riot: Putin und der Patriarch – eine unheilige Allianz

(c) AP (Alexander Zemlianichenko)
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Für 17. August wird das Urteil gegen die Punkband erwartet. Ihr größter Gegner ist nicht der russische Präsident, sondern Kyrill I, der Patriarch von Moskau. Er verkörpert die Verhaberung von Kirche und Kreml.

Er nennt Putins Präsidentschaft ein „Wunder Gottes“ und das Gegröle der Punkband Pussy Riot in einer Moskauer Kirche ein Werk des Teufels: Kyrill I., Patriarch von Moskau, ist einer der mächtigsten Verbündeten des russischen Präsidenten. Demonstrationen gegen das Staatsoberhaupt sind für ihn eine Sünde, Unterwerfung unter die Obrigkeit ist für ihn göttliches Gebot.

Für die russisch-orthodoxe Kirche, an deren Spitze Kyrill I. seit 2009 steht, gilt die Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau als zentrales Gotteshaus. Dort veranstalteten Jekaterina Samuzewitsch, Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina im Februar ihr Anti-Putin-Happening, dessentwegen sie dann verhaftet und nun vor Gericht gestellt worden sind. Schreiend tanzten sie damals durch den Altarraum und baten in ihrem später als Videoclip aufgenommenen Song nicht nur die Mutter Gottes, Putin zu entfernen; sie fluchten auch, beschimpften den Patriarchen und empfahlen, er solle lieber an Gott statt an Putin glauben.

Für 17. August wird das Urteil erwartet, und während Putin zuletzt Milde empfahl, will der Moskauer Patriarch offenbar ein Exempel statuieren. Diese Gotteslästerung müsse hart bestraft werden, verlangt er. Die Frauen hatten mit ihrer Aktion allerdings weniger Gott als dessen „Repräsentanten“ Kyrill im Auge. Was sie vor allem anprangerten, war die Verhaberung von Kirche und Kreml, von Putin und Patriarchat.

Ein kleiner Teil der Bevölkerung ist gläubig

Die hat nicht erst mit diesem Patriarchen begonnen. Die Religion hatte seit dem Fall des Kommunismus immense Bedeutung bei der Konstruktion einer nationalen Identität, und dafür benutzt sie auch Putin. Er führte den orthodoxen Religionsunterricht wieder ein, sponsert den Bau von Kirchen. Der Patriarch wiederum gab Wahlempfehlungen für Putin ab, hilft ihm bei Projekten, zeiht seine Kritiker der Sünde. Erst vor wenigen Tagen segnete er den Grundstein für eine Kathedrale neben der Akademie des FSB, des russischen Inlandsgeheimdienstes. Die Geheimdienstler seien besorgt über die „immer raffinierteren“ Angriffe auf die christliche Lebensweise, wurde bei der Zeremonie verkündet.

Die orthodoxe Kirche hat wieder Einfluss, und das, obwohl nur ein kleiner Teil der Bevölkerung wirklich gläubig ist. Eine typische Umfrage würde der Kunsthistorikerin Ekaterina Degot zufolge so ausfallen: Sind Sie orthodox? Ja. Glauben Sie an Gott? Nein, natürlich nicht. Trotzdem hat die Kirche eine Stellung wiedererlangt, die an jene im vorrevolutionären Russland anknüpft. Damals begünstigte der letzte Zar Nikolaj II. die Kirche als Grundpfeiler des russischen Reichs.

Nikolaj II. ist der reichste Heilige der russischen Geschichte. Heute gehen Reichtum und Religion in Russland erneut harmonisch Hand in Hand, auch wenn das dem Patriarchen zuweilen peinlich ist. So retuschierte seine Pressestelle auf einem Foto eine kostbare Breguet-Uhr am Handgelenk des Patriarchen; allerdings vergaß man dabei, das Spiegelbild der Uhr auf der polierten Tischplatte mitzuentfernen. Für Verwunderung sorgte auch, dass im März der frühere Gesundheitsminister nach einem Prozess umgerechnet über 500.000 Euro Entschädigung zahlte – für den bei Renovierungsarbeiten entstandenen Staub in einem dem Patriarchen gehörenden Haus. Das persönliche Vermögen des Patriarchen scheint beträchtlich, es wurde vor einigen Jahren auf fünf Milliarden Dollar geschätzt.

Zumindest im Vergleich zu den orthodoxen Hardlinern gilt der Patriarch als gemäßigt konservativ und eher westlich orientiert. Aber eine Trennung von Kirche und Staat scheint trotz sieben Jahrzehnten Kommunismus unvorstellbar. Das hat tiefe historische Wurzeln, und Kyrill beruft sich auch darauf. Einen Tag nach seinem Amtsantritt erklärte er, er wolle die Beziehung zwischen Kirche und Staat auf das byzantinische Konzept der  „Symphonia“ gründen.

Staat und Kirche herrschen in Harmonie

Gemeint ist damit seit Konstantin dem Großen ein harmonischer Zusammenklang von Imperium und Sacerdotium. Diese teilen sich die Herrschaft über die Gesellschaft; beide sind einander ebenbürtig, greifen an vielen Stellen ineinander, haben aber auch ihre eigenen Bereiche. Beim byzantinischen Kaiser Basileios I. liest sich das so: „Die weltliche Macht und die Geistlichkeit verhalten sich zueinander wie Leib und Seele. In der Verbindung sowie dem Einvernehmen zwischen ihnen liegt das Staatswohl begründet.“

Bis heute prägt dieses Staatsverständnis die russische Orthodoxie. Sie habe „über lange Jahrhunderte grundsätzlich die Staatsideen vertreten, die auch den jeweiligen russischen Staat prägten“, schreibt der deutsche Theologe Thomas Bremer in seinem Buch „Kreuz und Kreml“. Kritiker meinen, dass diese Haltung auch mitschuld sei an der traditionell eher willfährigen Haltung gegenüber autoritären Regimen. So beteiligte sich die orthodoxe Kirche in der Sowjetzeit kaum an oppositionellen Aktionen.

Ideologische Gemeinsamkeiten zwischen Putin und dem Patriarchen gibt es genug. Sie teilen die Vorliebe für „law and order“, für konservative Werte, das Misstrauen gegenüber dem modernen westlichen Freiheitsbegriff – und zwar mit vielen Russen. „In Russland schätzt man im Allgemeinen gewisse Grundrechte anders ein als im Westen“, sagt Bremer. „Demokratie zum Beispiel gilt als westliches Modell, das hat mit Wettbewerb zu tun; die Ansicht, dass man einen Staat besser in gemeinschaftlicher Harmonie führen soll, ist relativ verbreitet.“ Auch Kyrill erklärte vor seiner Zeit als Patriarch einmal in einer Grundsatzrede, „Einheit und Übereinstimmung“ seien die Grundlagen der russischen Demokratie.

Wer diese von oben diktierte „Übereinstimmung“ stört, wird verfolgt – meist mit weniger Glück als Pussy Riot. Vom Medienecho und der Unterstützung, die ihnen im Westen zuteil wird, können andere Regimegegner nur träumen. Zuletzt haben etwa Madonna und Lennon-Witwe Yoko Ono an Putin appelliert, die Frauen freizulassen.

Auf einen Blick

Die Religion hatte seit dem Fall des Kommunismus immense Bedeutung bei der Konstruktion einer nationalen Identität, und dafür benutzt sie auch Putin. Er führte den orthodoxen Religionsunterricht wieder ein, sponsert den Bau von Kirchen. Der Patriarch gab Wahlempfehlungen für Putin ab, hilft ihm bei Projekten, zeiht seine Kritiker der Sünde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2012)

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