Vom gefährlichen Leben kritischer Künstler

Pussy Riot sind nicht die einzigen Künstler, die Probleme mit Russlands Justiz haben, auch weniger provokante Vertreter der Kunstszene hatten in den vergangenen Jahren Probleme mit der Staatsgewalt.

Moskau/Wien. Das Plakat zeigt einen grinsenden Wladimir Putin, an dessen rosigem Hinterkopf sich schwarzes Haar bis über die Schultern lockt. Eine kreisrunde goldene Kreole steckt im linken Ohr des russischen Politikers, neckisch hat er seine Hand auf den Oberkörper gelegt, der in einem leichten schwarzen Kleid steckt. „Darf ich eine dritte Amtszeit bleiben?“, fragt der verweiblichte Putin anzüglich.

Auf dem für das Kunstwerk bestimmten Platz – dem Bürgermeisteramt der russischen Stadt Woronesch – hing das Plakat nicht lange. Man schrieb den Juni 2009, Dmitrij Medwedjew war im Vorjahr als Präsident vereidigt, Wladimir Putin zu seinem Premier ernannt worden. Dass Putin wieder nach der Macht – nach einer dritten Amtszeit als Staatschef – greifen würde, schien schon damals vielen die logische Folge des Medwedjew'schen Interregnums. Auch Putin, dem Premier, dürfte das Plakat nicht gefallen haben. Der Künstler mit dem Pseudonym „Schurik“ wurde verhaftet und mehrere Stunden von Angehörigen des Geheimdienstes FSB verhört, angeblich auch geschlagen. Der Künstler fasste eine Anzeige wegen „unflätigen Fluchens in der Öffentlichkeit“ aus; zu einer Verhandlung kam es aber nicht, da der Verdächtige nicht auftauchte.

Entsorgung von Büchern im Riesenklo

Über die Qualität des Kunstwerks lässt sich diskutieren. Als Pennälerscherz wollten die Behörden Schuriks Aktion jedenfalls nicht gelten lassen. Beim Veräppeln der mächtigsten Männer im Land hört sich in Russland der Spaß auf. Auch wenn die Causa für Schurik glimpflich endete: Seit Putins Amtsantritt im Jahr 2000 hat der Druck auf Künstler und Kulturschaffende zugenommen.

Das musste 2002 auch der international renommierte Autor Wladimir Sorokin erleben, dessen Bücher nach Wunsch der Putin-nahen Jugendorganisation „Gemeinsamer Weg“ am besten im Müll – genauer in einem überdimensionalen WC, das vor dem Bolschoi-Theater aufgebaut worden war – landen sollte. Sorokin wurde vorgeworfen, mit seinen Büchern zum Verfall der Moral beizutragen, Pornografie zu verbreiten. Heute ist er weiterhin als Autor tätig, sein Ton hat sich verschärft: Im Roman „Der Tag des Opritschniks“ beschreibt er den Tagesablauf eines Angehörigen einer Polizeieinheit, angesiedelt in der nahen Zukunft: Der Leser erkennt darin ein blutrünstig-brutales Zerrbild von Putins Russland.

In den späten Nullerjahren, als Medwedjew zu Putins Präsident gemacht wurde, entstand eine radikale Kunstopposition, zu der auch die Gruppe Pussy Riot zählt. Bevor die Verhaftung von Pussy Riot internationale Proteststürme auslöste, waren die Aktivisten von Wojna („Krieg“) unterwegs. 2008 gingen sie ins Moskauer Biologische Museum, entkleideten sich und hatten Sex zwischen den ausgestopften Exponaten. „Fick zur Unterstützung für den Bärchen-Nachfolger“ stand auf einem Plakat. Mit Bärchen war Medwedjew gemeint, „medwed“ bedeutet Bär. Diese und folgende Performances sollte die Gruppe, in der auch die nun verurteilte „Pussy Riot“-Aktivistin Nadeschda Tolokonnikowa mitmachte, zu den künstlerischen Lieblingsfeinden des Kreml machen: Eine Schar von Twentysomethings, die den Regierenden jeglichen Respekt versagt und kategorisch jeglichen Kompromiss mit dem System ausschließt. „Wir wollen das Regime entsakralisieren“, sagen sie. Die persönlichen Konsequenzen sind erheblich: Wojna-Anführer Oleg Worotnikow wird per Haftbefehl gesucht, er hält sich an einem geheimen Ort versteckt.

Doch auch weniger provokante Vertreter der Kunstszene hatten in den vergangenen Jahren mit der Staatsgewalt Probleme. Vor zwei Jahren wurden die Kuratoren der Ausstellung „Verbotene Kunst“, Andrej Jerofejew und Juri Samodurow, zu Geldstrafen von mehreren tausend Euro verurteilt. Mit Bildern wie einer Kaviar-Ikone habe die Schau die Gefühle russisch-orthodoxer Christen in gröbster Weise verletzt, hieß es damals. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft drei Jahre Straflager beantragt.

Schon 2003 hatte Samodurow Probleme mit der Justiz, als er die Ausstellung „Achtung Religion“ organisierte, die nach nur vier Tagen von Maskierten zerstört wurde. Die Ermittlungen gegen die radikalen Orthodoxen wurden eingestellt, Samodurow musste eine Geldstrafe zahlen. Auf die Frage der Moskauer „Deutschen Zeitung“, welche Reaktionen eine solche Ausstellung im Jahr 2011 hervorrufen würde, antwortete Samodurow, er glaube nicht, dass in der Gegenwart eine derartige Schau möglich sei. „Die andere Seite hat gewonnen. Sie verstehen nicht, dass die moderne Kunst ein Spiel mit bedeutsamen Sachen und Begriffen ist.“

Auf einen Blick

Der Prozess gegen Pussy Riot erregte international große Aufmerksamkeit; Kritiker sehen die Freiheit der Kunst und die Meinungsfreiheit in Gefahr. Es ist aber nicht das erste Mal in der Ära Putin, dass Künstler Probleme mit der Justiz bekommen. Schon mehrfach wurden Ausstellungskuratoren zu hohen Geldstrafen verurteilt; ein Angehöriger der Künstlergruppe „Wojna“ lebt im Untergrund; eine Putin-nahe Organisation attackierte im Jahr 2002 bekannte Autoren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2012)

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