Libyen: Radikale töten US-Botschafter

(c) EPA (MUSTAFA EL-SHRIDI)
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Salafisten in Bengasi und Kairo laufen Sturm gegen einen islamfeindlichen Film, in dem angeblich Mohammed verunglimpft werde. Eine Herausforderung für die neuen arabischen Regierungen.

Es ist die neueste Episode, in der westliche Islamfeinde und arabische Salafisten einander die Steilvorlagen liefern. Am Anfang stand ein in den USA produzierter, für Muslime provokanter Film, am vorläufigen Ende stehen vier Tote im US-Konsulat in der ostlibyschen Stadt Bengasi, darunter auch der US-Botschafter in Libyen, Chris Stevens. Schon Mittwochmorgen, also pünktlich zum Jahrestag der Anschläge des 11. September, machte in Kairo die Nachricht von einem in den USA produzierten Film die Runde, in dem Prophet Mohammed verunglimpft werde. Kurz darauf verbreitete sich ein vierzehnminütiger Trailer via Youtube, Facebook und Twitter. Im Netz kursieren eine englische und eine in ägyptischem Dialekt synchronisierte Version. Der billig produzierte Streifen zeigt einen verschlagenen Mohammed als irren, sexbesessenen Frauenhelden, der zu Massakern an Angehörigen anderer Religionen aufruft.

Attacke mit Panzerfäusten

Wie beim Streit um die dänischen Mohammed-Karikaturen vor sechs Jahren blieb die pawlowsche Reaktion nicht aus: Salafisten-Fernsehkanäle riefen zu Protesten vor der US-Botschaft in Kairo auf. Mehrere tausend Menschen, meist Salafisten, zogen vor die Botschaft. Eine Gruppe Jugendlicher schaffte es, mit Leitern auf die Mauer zu klettern, in den Garten einzudringen und die wegen des 11. September auf Halbmast wehende US-Flagge herunterzuholen und zu verbrennen. Das Sternenbanner wurde durch eine schwarze Flagge ersetzt, auf der das muslimische Glaubensbekenntnis zu einem Gott und dem Propheten Mohammeds geschrieben stand.

Doch Kairo sollte für die US-Vertretungen in der Region nur ein Vorgeschmack sein. Im libyschen Bengasi attackierten Dienstagabend Bewaffnete, die sich als „Unterstützer der Scharia“ bezeichneten, mit Panzerfäusten das US-Konsulat und zündeten es an. Der zufällig anwesende US-Botschafter, Chris Stevens, und drei weitere Beamte des US-Außenministeriums starben. Und das ausgerechnet in der Stadt, in der der Aufstand gegen Diktator Muammar al-Gaddafi begann, und die der US-Luftwaffe zu verdanken hat, dass ein Rachefeldzug der Gaddafi-Truppen vor den Toren Bengasis gestoppt worden war. Am Mittwochabend wurde dann bekannt, dass es auch bis zu zehn Tote und Verletzte unter den libyschen Sicherheitskräften geben soll.

Gefahr für ägyptische Kopten

Der Islam sei ein „Krebsgeschwür“ erklärte der Produzent des zweistündigen Filmes, der die Unruhen ausgelöst hat. Sam Bacile, ein kalifornischer Immobilienunternehmer, hat das Drehbuch geschrieben. Auf seiner Webseite beworben, wurde der Film von Morris Sadek, einem im US-Exil lebenden, für extreme Ansichten bekannten ägyptischen Kopten.

Letzteres könnte die Spannungen zwischen Muslimen und koptischen Christen in Ägypten verschärfen, da einige radikale islamische Prediger die koptische Kooperation bei dem Film betonen. Ägyptens Kopten versuchen den Schaden zu begrenzen. Medhat Klada, der den Kopten-Organisationen in Europa vorsteht, bezeichnete Sadeks Positionen als „nicht für die koptische Exilgemeinden repräsentativ“. Sadek sei ein Extremist, der die Menschen in Ägypten gegen die Kopten aufhetze.

Auch die Maspero-Jugend, ein Zusammenschluss junger Kopten, die an dem Aufstand gegen Machthaber Hosni Mubarak teilgenommen hatten, ließen auf ihrer Facebookseite verlauten, dass Sadek weder den Mainstream des koptischen Patriotismus noch die Kopten in der Diaspora repräsentiere.

Anders, als der Streit um die Mohammed-Karikaturen findet diese neue Kontroverse in einer veränderten arabischen Welt statt. Zwar ist dort der Ärger über den Film groß, aber es ist die kleine und laute Minderheit der Salafisten, die den Fall für sich politisch zu nutzen sucht und das Gros der Demonstranten in Kairo und Angreifer in Bengasi stellt. Der gestützte ägyptische Diktator Mubarak hat die Salafisten als Schreckgespenst benutzt, auch während des Karikaturenstreits. Nach dem Motto: Wenn ihr keine Angriffe auf westliche Einrichtungen wollt, dann unterstützt mich.

Heute regiert in Ägypten mit Mohammed Mursi ein Präsident, der der Muslimbruderschaft entstammt und der die Regierungsverantwortung hat. Damit ist er auch für die Sicherheit der ausländischen Vertretungen zuständig. Noch versuchen sich die Muslimbrüder in einer Doppelrolle: Sie verurteilen den Film und rufen zu friedlichen Protesten auf. Ihr Sprecher Mohammed Ghozlan forderte die US-Regierung auf, sich zu entschuldigen und die Verantwortlichen zu bestrafen. Aber wollen die Muslimbrüder in Regierungsverantwortung bleiben, dürfen sie den Salafisten nicht den Islam auf der Straße überlassen.

Weckruf für neue Machthaber

Gleiches gilt für Libyens neue Regierung. Die Angriffe auf US-Einrichtungen sind für die neuen demokratisch gewählten arabischen Regierungen ein Weckruf, dass sie einer politischen Konfrontation mit den Salafisten auf Dauer nicht mehr ausweichen können. Neben der wirtschaftlichen Situation wird das die größte politische Herausforderung für die neuen Herrschenden in Kairo und Tripolis.

Auf einen Blick

Chris Stevens, US-Botschafter in Libyen, wurde Dienstagabend bei einer Attacke auf das amerikanische Konsulat in der ostlibyschen Stadt Bengasi getötet. Aus Wut über einen für Muslime provokanten US-Film schossen die Angreifer Raketen in das Gebäude. [AP]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2012)

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