Putin macht mobil gegen "Verräter"

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Putin macht mobil gegen(c) AP (Alexander Zemlianichenko)
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Mit Gennadi Gudkow wurde erstmals ein loyaler Abgeordneter wegen oppositioneller Gesinnung gestürzt. Die Machthaber suchen nach Wegen, Fahnenflucht vorzubeugen und das eigene Vermögen zu sichern.

Moskau. Das bezeichnendste Wort, das gestern in der russischen Staatsduma fiel und das den momentanen Zustand des russischen Establishments umreißt, war „Judas“. Einer der Abgeordneten stieß das Wort laut aus, nachdem Gennadi Gudkow seine Abschiedsrede gehalten hatte. Das zweite bezeichnende Statement hatte Gudkow selbst schon vorab in einem Interview gegeben: „Ich habe mich einfach geweigert, nach ihren Regeln zu spielen.“

So die Begleittöne eines bemerkenswerten Tages. Erstmals nach 17 Jahren wurde gestern mit dem 56-jährigen Gudkow wieder ein Abgeordneter aus der russischen Duma ausgeschlossen – mit knapp 65 Prozent der Stimmen und ohne vorausgehenden Gerichtsbeschluss.

Lange Zeit fiel Gudkow nicht auf

„Judas“ Gudkow ist kein medial verkaufbares oppositionelles Opfer wie die jungen Frauen von Pussy Riot, die für ihre Proteste hinter Gitter gingen. Für das Verständnis des russischen Herrschaftssystems ist Gudkows Fall aber ungleich relevanter, zumal es die Machthaber mit seinem Rauswurf eilig hatten, weil heute die erste Massendemonstration nach der Sommerpause stattfindet.

Gudkow, einst KGB-Oberst wie Kreml-Chef Wladimir Putin, war bereits seit 2001 im Parlament gesessen, wo er 2007 zu der zum Kreml loyalen Oppositionspartei „Gerechtes Russland“ wechselte. Lange fiel er dort nicht auf. Nur in Privatgesprächen ließ er wissen, dass ihn die Starre des Machtmonopols an die letzten Jahre der Sowjetunion erinnerte. Als er sah, dass Putin in eine dritte Amtszeit gehen würde, schloss er sich im Vorjahr den von der außerparlamentarischen Opposition organisierten Protesten an. Aus der Duma geworfen wurde er nun mit der Begründung, dass er auch einer – für Parlamentarier generell verbotenen – unternehmerischen Tätigkeit nachgehe.

„Für die Feinde das Gesetz“

Ob Gudkow in dieser Hinsicht rechtlich sauber war, ist im heutigen Russland als Frage eher sekundär. Selbst in der als unbefleckt daherkommenden, liberalen Opposition finden sich Akteure, die unter den Bedingungen einer Übergangsökonomie Gesetze übertreten haben. Von Putin-Loyalisten aus der Nähe des Futtertroges ganz zu schweigen.

Primär ist, dass sich das Establishment wegen der Massenproteste veranlasst sieht, die Weggefährten nach kurzzeitigen Auflösungserscheinungen zu disziplinieren und Abtrünnige zu bestrafen. Damit dies leichter zu bewerkstelligen ist, sind die Gesetze im jungen Staat so geformt, dass man sich ohne Übertretungen schwer bewegen kann. So ist jeder Geisel der Bedingungen. Schert er vom Amigo-System aus, wird er über das Gesetz zu Fall gebracht. Das war schon bei dem seit 2003 inhaftierten Ex-Ölmagnaten und Putingegner Michail Chodorkowskij so, dessen Gesetzesübertretungen typisch für die Zeit waren und von anderen Oligarchen ähnlich praktiziert worden sind. Nicht zufällig fühlen sich Russen immer mehr an ihr Sprichwort erinnert, demzufolge „alles für die Freunde, für die Feinde aber das Gesetz“ da sei.

Um Fahnenflucht vorzubeugen, ist derzeit übrigens auch ein Gesetz in Begutachtung, das Beamten und ihren Familienmitgliedern den Besitz von Immobilien oder Bankkonten im Ausland verbietet. Möglich, dass es nicht verabschiedet wird, zumal Beamte laut Ex-Finanzminister Alexej Kudrin massenweise ihre Posten verlassen würden, um ihr Vermögen zu retten. Als Idee dahinter steht jedenfalls, dass die Beamten mit ihrem Vermögen „alle Risken gemeinsam mit dem Land tragen sollten“, wie Premier Dmitrij Medwedjew sagt.

Kontrolle der Systemerhalter

In Wirklichkeit ist die Idee freilich auch, dass man die Träger des Systems bei der Stange sowie unter Kontrolle hält und sie zu kollektiven Geiseln der aktuellen Situation macht. Niemand solle sich im Alleingang aus dem Staub machen können. Die oberste Elite weiß, woran jeder denkt. Sie selbst nämlich – so das Resümee der Politologen-Analyse „Politbüro 2.0“ – sucht unermüdlich nach Wegen, die Macht in Besitz zu verwandeln, den Besitz zu legitimieren und zu vererben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2012)

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