Mob stürmt Botschaften in Tunis und Khartum

stuermt Botschaften Tunis Khartum
stuermt Botschaften Tunis Khartum(c) EPA (YAHYA ARHAB)
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Nach den Freitagsgebeten gerieten nicht nur US-Botschaften ins Visier. Radikale attackierten auch Deutsche und Briten. Bei den Übergriffen sind fünf Personen ums Leben gekommen.

Khartum/Tunis/Ag./Gaw. Die Gewalt gegen westliche Einrichtungen wegen eines islamfeindlichen Films weitet sich aus. Ein aufgebrachter Mob griff am Freitag die US-Botschaft in Tunesiens Hauptstadt Tunis an. Bei den Angriffen sind vier Menschen getötet und 50 Menschen verletzt worden. Demonstranten zerschlugen Fensterscheiben und zündeten Bäume an. Auf dem Botschaftsgelände wütete laut Augenzeugen ein größerer Brand. Tunesische Sicherheitskräfte versuchten, mit Schüssen die Menge zurückzudrängen. Mehrere Personen wurden verletzt. Auch eine amerikanische Schule in Tunis ging in Flammen auf.

Nach den Freitagsgebeten waren in zahlreichen islamischen Staaten tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen den in den USA produzierten Film zu protestieren, in dem der Prophet Mohammed geschmäht wird. Zu besonders massiven Ausschreitungen kam es in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. 10.000 aufgebrachte Demonstranten versuchten, auf das Gelände vor der US-Botschaft zu gelangen. Schüsse waren zu hören. Mehrere Personen kletterten über die Mauer der Botschaft. Zwei Menschen sollen bei den Protesten in Khartum getötet worden sein.

Angriff auf deutsche Botschaft

Zuvor war bereits die deutsche Vertretung in Khartum gestürmt worden. Mehrere tausend Menschen drangen in das Botschaftsgelände ein und rissen das Emblem und die Fahne der diplomatischen Vertretung herunter. Anschließend legten sie Feuer. Die herbeigerufene Verstärkung der sudanesischen Sicherheitskräfte versuchte, die Demonstranten durch Tränengaseinsatz zu vertreiben. Ein großer Teil der Demonstranten zog dann weiter zur US-Botschaft. Unklar ist bisher, ob die Sicherheitskräfte sich mit Absicht zurückgehalten hatten oder ob sie gegen die mehreren tausend Demonstranten einfach zahlenmäßig zu deutlich unterlegen waren. Der Mob hatte auch versucht, in die britische Botschaft vorzudringen. Doch das misslang.

Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle verurteilte die Angriffe aufs Schärfste und forderte eine sofortige Wiederherstellung der Integrität der Botschaft, wie sie vom internationalen Recht garantiert sein sollte. Laut Westerwelle sollen sich alle Botschaftsangehörigen in Sicherheit befinden. Der Krisenstab des Auswärtigen Amtes steht im ständigen Kontakt mit den Mitarbeitern in Khartum. Der sudanesische Botschafter in Berlin ist einbestellt und auf die Pflicht zum Schutz der diplomatischen Einrichtungen hingewiesen worden.

Westerwelle erklärte, dass er die Empörung der islamischen Welt über das Schmähvideo gegen Mohammed verstehen könne, dass dies aber keine Rechtfertigung für die Erstürmung einer Botschaft darstelle. „Dieses Video ist unerträglich und verletzt die Gefühle von Millionen gläubigen Menschen, aber es ist keine Rechtfertigung für diese Gewalt“, sagte der deutsche Außenminister.

Straßenschlachten in Kairo

In Ägyptens Hauptstadt Kairo starteten Demonstranten eine neue Angriffswelle gegen die US-Botschaft. Wie bereits in den vergangenen Tagen versuchten mehrere hundert meist Jugendliche, Gebäude zu stürmen. Sie lieferten sich Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften. Ursprünglich hatte die ägyptische Muslimbruderschaft zu einem Millionenmarsch als Protest gegen den Mohammed-Film aufgerufen. Der Marsch wurde aber dann wenige Stunden vor dem Freitagsgebet abgeblasen. „Aufgrund der Entwicklung der vergangenen Tage wird die Muslimbruderschaft nur symbolisch an den Protesten teilnehmen, um weitere Angriffe auf Menschen und Eigentum zu vermeiden“, heißt es in einer Erklärung der Muslimbruderschaft.

Streit zwischen USA und Muslimbrüdern

Auf dem Internet-Kurznachrichten-Dienst Twitter kam es zu einem bizarren Austausch zwischen der US-Botschaft in Kairo und dem offiziellen Twitter-Account der Muslimbrüder. @ikhwanweb zitierte den politischen Vize-Chef der Bruderschaft Kairat El-Shater. Er sei erleichtert, dass keiner der Mitarbeiter der US-Botschaft bisher zu Schaden gekommen sei, und er hoffe, dass „die ägyptische-amerikanische Beziehungen die turbulenten Zeiten aushalten“.

Die Antwort auf dem offiziellen Account der US-Botschaft kam prompt: „@ikhwanweb Vielen Dank, überprüfen Sie bitte auch ihre arabischen Postings, denn die lesen wir auch.“ Ein Hinweis, dass die Muslimbruderschaft auf Arabisch anders kommuniziert als auf Englisch. @ikhwanweb reagierte darauf mit dem Vorschlag, dass die Andeutungen der Botschaft wohl ein Produkt von Stress seien. Tatsächlich verurteilt die Muslimbruderschaft sowohl auf ihrer arabischen als auch auf ihrer englischen Webseite und auch auf ihrem offiziellen Tweet die Angriffe auf Botschaften.

Die erste Attacke auf eine US-Vertretung wegen des Mohammed-Films hatte Dienstagnacht in der ostlibyschen Stadt Bengasi stattgefunden. Das Gebäude wurde mit Raketen beschossen und ging in Flammen auf, der amerikanische Botschafter und drei weitere Personen kam dabei ums Leben. Die US-Regierung verdächtigt militante Islamisten, hinter dem Angriff zu stecken. Am Freitag wurde über der Stadt der Luftraum gesperrt. Laut einem libyschen Beamten kreisen unbemannte US-Flugkörper über der Region, um Verstecke von Islamisten auszumachen. Islamistische Milizen sollen daraufhin die Drohnen beschossen haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2012)

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