Skandal empört Georgien

Am Montag wählt Georgien ein neues Parlament. Präsident Saakaschwili ist erstmals ernsthaft gefordert.

Der Mann, vor dem sogar die berüchtigten Mafiabosse das Weite suchten, ließ sich am Freitag nochmals feiern. Gut 60.000 Anhänger waren in das Dynamostadion der georgischen Hauptstadt Tiflis gekommen, um von ihrem Präsidenten Micheil Saakaschwili zu hören, was sie selber denken – schon nächstes Jahr freien Handel und Visumfreiheit mit der EU, 2014 rein in die Nato, posaunte der 44-jährige Heißsporn: „Ein neues Georgien bauen wir.“ Und das, obwohl ein Teil des Landes von Russland okkupiert sei. Moskau wolle Georgien unter seine fortschrittsfeindlichen Fittiche nehmen.

Die Geopolitik im Südkaukasus kocht anlässlich der Parlamentswahlen am Montag also wieder hoch. Dabei ist wider Erwarten nicht so sehr der verlorene Krieg gegen Russland vor vier Jahren der Punkt. Saakaschwili hat seit Kurzem einen neuen Skandal, der das Land erschüttert. Und wähnt auch dahinter die Hand Moskaus.

Vorige Woche waren im Fernsehen Videos aufgetaucht, die brutale Folterszenen in Gefängnissen zeigen. Stärker hätte man den auf sein westliches Image bedachten Präsidenten nicht treffen können. Da hatte er seit der Revolution 2003 die Alltagskorruption ausgemerzt, indem er 16.000 Polizisten austauschte. Da hatte er die Mafiabosse in die Flucht getrieben. Da hatte er das Land auf dem Weltbank-Index „Doing Business“ zum Top-Reformer 2005–2010 gemacht. Da hatte er zum Zeichen des Umschwungs junge Frauen mit fließendem Englisch zu Ministerinnen und den Sohn des französischen Starphilosophen André Glucksmann zum Berater gemacht. Und nun sollte er von einem Folterskandal ausgehebelt werden?

Verlängerter Arm des Kreml. Saakaschwili ging in die Offensive, zwei Minister traten zurück. Aber die Proteste der Bevölkerung, der die Machtkonzentration beim Präsidenten aufstößt, halten seither an. Das spielt dem Multimilliardär Bidsina Iwanischwili in die Hände, der die zersplitterte Opposition geeint hat.

Dass Saakaschwili ihn als verlängerten Arm des Kreml sieht, ist nicht überraschend. Mit einer Anlassgesetzgebung gegen Parteienfinanzierung wollte er ihm den Garaus machen; entzog ihm auch die georgische Staatsbürgerschaft. Iwanischwili hat seine Milliarden in der Tat in Russland verdient, war dort im Finanz- und Apothekenbusiness tätig. Sukzessive fuhr er die Aktivitäten jedoch zurück, 2006 verkaufte er für 379 Mio. Euro seine Impexbank an die Raiffeisen International und macht die Österreicher damit zur größten ausländischen Bank in Russland. Am Montag wird er auf der Welle der Foltervideos als erster großer Gegner bei der Parlamentswahl Saakaschwili die Stirn bieten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2012)

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