Venezuela-Wahl: 'Anti-Imperalisten' bangen um Chavez

(c) AP (Pedro Portal)
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Die Präsidentenwahl hat begonnen. Im Fall eines Machtwechsels müssten die Verbündeten des linkspopulistischen Präsidenten auf lukrative Ölgeschäfte verzichten.

Buenos Aires/Caracas. In Venezuela hat die Präsidentenwahl begonnen. Bis 18 Uhr Ortszeit (0.30 Uhr MESZ) haben die Wahllokale geöffnet. Die Venezolaner stimmen heute nicht nur über ihre Zukunft ab – sondern über die einer ganzen Region. Die Wellen, die von einem Machtwechsel ausgingen, würden an die Gestade von ganz Lateinamerika rollen. Sie wären bis in den Nahen Osten spürbar.

Seit seinem Amtsantritt 1998 drängte Hugo Chávez an das Schachbrett der Weltpolitik. Dort verschob der Ex-Offizier Figuren wie selten ein Dritte-Welt-Führer zuvor. Er war die Speerspitze des Südens gegen die USA, jene in allen Ländern Lateinamerikas traditionell nach Belieben wirkende Übermacht aus dem Norden. Er war – gemeinsam mit Brasiliens Präsidenten Lula – auch der Motor der Union Südamerikanischer Staaten Unasur, die sich als Gegenpol zu der US-dominierten Organisation Amerikanischer Staaten OAS formierte. Dabei half ihm seine verbale Überzeugungskraft ebenso wie sein stattliches Scheckbuch.

Teure Ölgeschenke für treue Freunde

„Vom Ausgang unserer Schlacht am 7. Oktober wird ein erheblicher Teil der Zukunft der Menschheit abhängen“, sprach der wahlkämpfende Comandante in typischer Diktion. Sein Kontrahent, Henrique Capriles Radonski, hat seinen Anhängern auf jedem seiner 270 Wahlkampfauftritte versichert, dass die Spendierhosen eingemottet werden, wenn er in den Palacio Miraflores einziehen sollte. Fast 70 Mrd. Dollar seien dem Land durch Chávez‘ Generosität entgangen, behauptet Capriles. „Ab 2013 wird kein Fass Öl mehr an andere Länder verschenkt.“ Das hätte massive Auswirkungen – vor allem auf Kuba. Die Insel bekommt täglich zwischen 100.000 und 120.000 Barrel Öl, und kann einen Teil davon auf dem grauen Markt direkt zu Dollars machen. Bezahlt wird mit der Arbeit der 44.000 kubanischen Ärzte, Krankenpfleger und Sporttrainer, die in Venezuelas Armenvierteln Dienst tun. 20 Mrd. Dollar seien Venezuela während des vergangenen Jahrzehnts durch den Kuba-Deal entgangen, schätzt der Oppositionsabgeordnete Carlos Berrizbeitia. „Wenn wir gewinnen, dann werden die Castristas in Kuba noch lauter heulen als die Chavistas hier.“ Im Juli flog Raúl Castro nach Moskau und Peking, um seinem Regime einen Schlag zu ersparen wie nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991. Der greise Fidel schickte seinem Ziehsohn Hugo im September eine ermunternde Grußadresse. Zur gleichen Zeit empfing Bruder Raúl laut der Chávez-kritischen Zeitung „El Universal“ eine Geheimdelegation der venezolanischen Opposition.

Auch in Nicaragua wird Venezuelas Wahl mit Nervosität verfolgt werden, waren die 510 Mio. Dollar Wahlkampfhilfe aus Caracas doch entscheidend für die Wiederwahl des Sandinistenführers Daniel Ortega 2011. Insgesamt bekam seine Regierung aus Caracas 7,5 Mrd. Dollar geschenkt, seitdem Ortega 2007 an die Macht zurückgekehrt ist.

Ende der Alianza Bolivariana (Alba) droht

Die beiden anderen großen Mitglieder der Wirtschaftsgemeinschaft Alba, Bolivien und Ecuador, dürfte ein Machtwechsel in Caracas ökonomisch weniger treffen, die hohen Preise für Öl, Gas und Mineralien halfen vor allem Evo Morales seine anfängliche Abhängigkeit von Hugo Chávez zu reduzieren. Doch das bolivarianische Bündnis dürfte ohne seinen „Big Spender“ wenig Zukunft haben: „Wenn Chávez verliert, dann wird Alba verschwinden“, glaubt der ecuadorianische Politologe Martín Pallares.

Die Aussicht auf eine Destabilisierung des Kontinents wird auch in Brasilia und Buenos Aires mit Unbehagen verfolgt. Cristina Kirchner verbindet eine enge Freundschaft mit Hugo Chávez. Aber auch Brasilien, dessen Wirtschaft massiv nach Venezuela exportiert und von der chavistischen Abneigung gegen US-Unternehmen profitiert, hofft auf einen Sieg von Hugo Chávez.

Eine lange Nacht dürften von Sonntag auf Montag die Beamten in Ministerien in Teheran haben, denn Chávez gehört zu den engsten Alliierten von Irans Präsidenten Mahmud Ahmadinejad. Venezolanische Banken halfen der iranischen Wirtschaft, das internationale Embargo zu umgehen und wuschen Milliarden Dollar. Die US-Geheimdienste beobachten die iranisch-venezolanische Freundschaft mit Unbehagen. Deswegen dürfte auch in einigen Büros in Jerusalem das Licht nicht ausgehen: Trotz aller Diskretion gilt es als offenes Geheimnis, dass Israel zu den wichtigsten Unterstützern der Opposition gehört, im Mai empfing Premier Benjamin Netanjahu den venezolanischen Oppositionsführer Antonio Ledezma.

Und auch in Peking und Washington steht Caracas ganz oben auf der Agenda, schließlich wählt am Sonntag das Land mit den – nach OPEC-Angaben – größten Erdölreserven der Welt. China hat Chávez etwa 42 Mrd. Dollar geliehen, schätzt der Wirtschaftsdienst Bloomberg – und bekommt dafür im Gegenzug Erdöl zu Sonderpreisen. Und die USA wären nicht nur gern den Quälgeist im Süden los, ihre Unternehmen würden nur zu gerne die Ausbeutung der Bodenschätze im Orinoco-Becken anführen. Dort lagern Öl, Gold und Diamanten.

Auf einen Blick

Venezuelas Präsident Hugo Chavez (58) muss nach 14 Jahren im Amt am Sonntag um seine Wiederwahl bangen. Erstmals hat der Linkspopulist es mit einem ernst zu nehmenden Konkurrenten zu tun: mit dem ehemaligen Gouverneur Henrique Capriles Radonski (40). Einzelne Meinungsforschungsinstitute sehen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Capriles ist der Spitzenkandidat eines Oppositionsbündnisses. Insgesamt treten sechs Bewerber an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2012)

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