Transatlantischer Stillstand: „Europa sitzt bequem auf Couch“

Karl Theodor zu Guttenberg
Karl Theodor zu Guttenberg (c) AP (Cliff Owen)
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Karl Theodor zu Guttenberg dozierte über die EU-US-Beziehungen, Politologe Kupchan warnte vor einem Iran-Krieg.

Washington. Krise da, Krise dort: Das Krisengerede dominiert seit geraumer Zeit die transatlantischen Beziehungen. Als die US-Außenministerin und die EU-„Außenministerin“ jüngst zusammen Sarajewo einen Besuch abstatteten, war dies ein rarer Lichtblick in dem von Niedergangsszenarien dräuenden Verhältnis zwischen den Alliierten dies- und jenseits des Atlantik.

„Ich würde Hillary Clinton und Catherine Ashton gern öfter gemeinsam sehen“, sagte Karl Theodor zu Guttenberg bei einer Wahlanalyse am Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington. Er stichelte: „Wenn ich Leute auf der Straße in Deutschland nach Herman Van Rompuy (EU-Ratspräsident) und Catherine Ashton frage, bekomme ich zur Antwort: ,Das sind doch Formel-1-Fahrer.‘“

Es war ein Sager ganz nach der Art des fränkischen Freiherren, der seit seinem Rücktritt als Verteidigungsminister wegen der Plagiatsaffäre um seine Dissertation im Vorjahr in den USA „untergetaucht“ ist. Kürzlich brachte ihn der „Spiegel“ als potenziellen Nachfolger des bayerischen CSU-Ministerpräsidenten Horst Seehofer ins Spiel. Eine rasche Rückkehr nach Deutschland schloss Guttenberg indes aus.

Als CSIS-Mitarbeiter referierte er über Barack Obama, die US-Wahl und die Auswirkungen auf Europa. „Es ist gut, dass Obama auf Normalgröße gestutzt wurde. Er ist als Rockstar eine Berühmtheit, hat aber bisher nur einen Grammy gewonnen (den Friedensnobelpreis). Ich weiß, wovon ich rede.“

Durchwurschteln

Das Verhältnis zwischen den westlichen Verbündeten sei von Nostalgie und „erstaunlicher Hybris“ gekennzeichnet, Pragmatismus habe die Emotionen ersetzt, lautet sein Befund. Die EU sei am Rand des Zerfalls. „Die USA müssen verstehen, dass die EU ein ,work in progress‘ sei, ein Gebilde inmitten eines tektonischen Prozesses. Wir werden uns noch auf Jahre hinaus durchwurschteln“, erklärte Guttenberg.

Die Nato müsse über ihren Schatten springen, um schneller agieren und reagieren zu können. Zugleich betonte er: „In Afghanistan kann die Nato nie gewinnen.“ Überdies würden die Partner mit verschiedenen Zungen sprechen – die Amerikaner von der Cyber-Sicherheit, die Europäer vom Klimawandel. „Es ist, als würde sich eine große Wand auftun.“ Antworten auf die drängenden Fragen hätten derzeit weder die USA noch die EU zu bieten.

Iran-Krieg als Zerreißprobe

Seine Analyse deckt sich weitgehend mit der Einschätzung einer Expertenrunde an der Brookings-Institution. Stabilität und Ausdauer seien auch für die nächsten Jahre das Fundament der Beziehungen, meint Georgetown-Politologe Charles Kupchan. Der Blick sei aber nach innen und nicht nach außen gerichtet. Großbritannien sei auf dem Absprung aus der EU und drohe in Vergessenheit zu geraten, konstatierte er. „Die EU ist in weit schlechterer Verfassung als die USA“, fügte der britische Publizist Clive Crook an. „Die Fiskalunion war der Rubikon.“

Kupchan sagte: „Ich erkenne keine Anzeichen für eine aktive politische Rolle auf beiden Seiten, weder in Nahost und in Syrien noch beim Klimawandel.“ Es gebe steigenden Bedarf für eine globale Führungsrolle, aber sinkende Nachfrage. „Europa sitzt immer noch recht bequem auf der Couch.“ Ein Iran-Krieg könnte die transatlantischen Beziehungen einer Zerreißprobe unterwerfen. Sollte es bis zum Sommer zu keiner Einigung im Atomkonflikt mit Teheran kommen, beziffert Kupchan die Chancen für einen Krieg mit „mehr als 50 Prozent“. Sein Rat: „Schnallt die Sicherheitsgurte an.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2012)

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