Iwanischwilis schwieriger Drahtseilakt

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Georgiens Premier hat dem großen Nachbarn einige pragmatische Angebote gemach, doch Russland könnte viel mehr von der Kaukasusrepublik verlangen.

. W . Nicht zufällig führte die erste Auslandsvisite Bidsina Iwanischwili nach Brüssel: Die Reise sollte nach allen Seiten bezeugen, dass Georgiens neuer Premier den außenpolitischen Kurs nicht dramatisch neu ausrichten wird. Nachdem Präsident Michail Saakaschwili 2004 die Macht übernommen hatte, richtete sich das Land mit aller Deutlichkeit nach Westen aus. Nun unterlag seine „Vereinte Nationale Bewegung“ bei der Parlamentswahl Iwanischwilis „Georgischem Traum“.

Nato- und EU-Beitritt waren Saakaschwilis hochgesteckte Ambitionen. In der Region wollte man mit einer aktiven Nordkaukasus-Politik ein leuchtendes Demokratievorbild in einer unruhigen und großteils autokratisch geführten Region sein. Das georgische Parlament erkannte vergangenes Jahr die Vertreibung der Tscherkessen von 1864 als „Genozid“ an. Dass dies Moskau missfällt, weiß man in Tiflis natürlich. Mit Russland steht das 4,5 Millionen Einwohner zählende Land indes schon seit Längerem auf Kriegsfuß: Grund dafür sind die separatistischen Gebiete Abchasien und Südossetien, die nach dem von Tiflis vom Zaun gebrochenen Augustkrieg 2008 von Moskau auch offiziell als unabhängige Staaten anerkannt wurden.

Russland-Beauftragter ernannt

Eine verfahrene Situation mit dem großen Nachbarn – und aus dieser will Iwanischwili nun einen Ausweg finden. Er hat mit Zurab Abaschidse einen speziellen Beauftragten für die Beziehungen zu Russland ernannt (vergleichbar mit einem Botschafter, den es seit 2008 nicht mehr gibt). Iwanischwili will Grenzverkehr und Handel wieder ankurbeln (georgischer Wein und das beliebte Borjomi-Mineralwasser sind in Russland seit 2006 mit einem Bann belegt). Zudem stellte er eine Teilnahme Georgiens bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi in Aussicht. Einer seiner Minister regte kürzlich gar die Wiedereröffnung einer Bahnlinie nach Russland – über abchasisch „besetztes“ Gebiet – an.

Iwanischwili hat sein Vermögen in Russland gemacht. Er verstand, dass sein Land den nördlichen Nachbarn nicht länger ignorieren kann. Dass er pragmatischer als Saakaschwili handelt, macht ihn noch nicht zum „russischen Spion“, als den ihn das Präsidentenlager im Wahlkampf diskreditiert hat. Annehmbare Gegenangebote für seine diplomatischen Offerten stehen indes noch aus. „Iwanischwili muss aufpassen: Bietet er Russland einen Finger, will es die ganze Hand“, sagt die Moskauer Expertin Lilija Schewzowa. Iwanischwili muss das Kunststück vollbringen, bei seiner Politik des Ausgleichs nicht selbst aus dem Gleichgewicht zu kommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2012)

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