„Kriegsheld“ Gotovina kommt frei

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UN-Kriegsverbrechertribunal kippt Verurteilung ehemaliger kroatischer Generäle wegen Gräueltaten an Serben. Belgrad ist empört. Der Fall Gotovina hatte seit Jahren in beiden Ländern große Emotionen hervorgerufen.

Sarajevo/ Den Haag. Für viele Serben war es ein Schock – zahlreiche Kroaten feierten hingegen jubelnd auf den Straßen, als die Urteilsverkündung im Zentrum Zagrebs auf einem Riesenbildschirm übertragen wurde: Die Freisprüche für den kroatischen Ex-General Ante Gotovina und den mitangeklagten Ex-General Mladen Markač durch das UN-Kriegsverbrechertribunal lösten am Freitag in den beiden ex-jugoslawischen Teilstaaten gegensätzliche Reaktionen aus.

200.000 Flüchtlinge

Das UN-Kriegsverbrechertribunal hob damit eine erstinstanzliche Entscheidung vom 15. April 2011 auf. Die Generäle waren damals wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beim Vorgehen gegen die serbische Bevölkerung in Kroatien zu 24 beziehungsweise 18 Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht sah es damals als erwiesen an, dass beide Generäle Verantwortung für den Tod von 324 Zivilisten und gefangenen Soldaten trügen. Sie hätten in ihrem Militärbezirk zudem 90.000 Serben zum Verlassen der serbischen Siedlungsgebiete in der kroatischen Krajina gezwungen.

Der Fall Gotovina hatte seit Jahren in beiden Ländern große Emotionen hervorgerufen und bei Juristen und Militärexperten zu heftigen Auseinandersetzungen geführt. Im Kern ging es darum, ob die Wiedereroberung der von Serben 1991 besetzten Gebiete in Kroatien durch kroatische Truppen im Jahr 1995 rechtmäßig gewesen war.

Gotovina hatte die kroatischen Truppen in Dalmatien befehligt, denen es im August 1995 gelang, serbische Truppen, die seit ihrer Offensive 1991 fast ein Drittel des kroatischen Territoriums besetzt gehalten hatten, zu schlagen. In 72Stunden überrannten kroatische Truppen serbische Stellungen auch in anderen Teilen des Landes. Serbische Soldaten und fast 200.000 Zivilisten flohen in die von Serben gehaltenen Gebiete in Bosnien und Herzegowina und nach Serbien. Nach der Militäraktion kam es zu Übergriffen an nicht geflohenen serbischen Zivilisten und Soldaten – vor allem durch kroatische Zivilisten und die Polizei.

Die Frage, ob Gotovina und Markač dafür verantwortlich gewesen waren, wurde erstinstanzlich bejaht, jetzt aber zurückgenommen. Gotovina hatte immer wieder betont, dass er wenige Tage nach Abschluss der militärischen Aktion nach Bosnien und Herzegowina versetzt worden sei, um dort die Gegenoffensive vorzubereiten.

Im ersten Urteil wurden diese Argumente nicht anerkannt. Befremdlich wirkte nun auch der Freispruch des verantwortlichen Polizeigenerals Markač. Das Haager Tribunal folgte im Revisionsverfahren offenbar der Argumentation der Verteidigung.

„Ein politisches Urteil“

Belgrad reagierte empört: DenHaag habe „ein politisches, aber kein rechtliches Urteil gefällt“, kritisierte Serbiens Präsident Tomislav Nikolić. Die Serben in Kroatien würden damit in die Position der Schuldigen gerückt, obwohl sie in der Krajina „Opfer der größten Vertreibung seit dem Zweiten Weltkrieg waren“.

Der Freispruch wird in Kroatien als Bestätigung dafür gewertet, dass die Wiedereroberung des Landes rechtens gewesen sei. Für die Verbrechen der serbischen Truppen 1991 in Kroatien mit mehr als 10.000 Toten muss sich der serbisch-kroatische Politiker Goran Hadžić in Den Haag verantworten.

Kroatiens Regierungschef Zoran Milanović begrüßte das Urteil. Er räumte aber gleichzeitig ein, dass im Krieg auch auf kroatischer Seite „Fehler“ gemacht worden seien. Dafür sei der kroatische Staat verantwortlich, „nicht Markač und Gotovina“.

Auf einen Blick

Der kroatische Ex-General Ante Gotovina führte 1995 die Operation „Sturm“ an, bei der die von Serbien im Jahr 1991 besetzte serbische Enklave Krajina zurückerobert wurde. Dabei wurden über 200.000 Serben vertrieben. [Reuters]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2012)

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