Gaza: Türkei wirft Israel „ethnische Säuberung“ vor

(c) AP (Adel Hana)
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Hektische Krisendiplomatie internationaler Vermittler hat am Dienstag offenbar Ergebnisse gebracht. Die Hamas kündigte einen Waffenstillstand an. Der türkische Premier warf Israel derweil „ethnische Säuberung“ vor.

Kairo. Mit hektischer Krisendiplomatie haben Staatsmänner zahlreicher Nationen im kriegerischen Konflikt zwischen der palästinensischen Hamas und Israel am Dienstag den Weg für ein vorläufiges Ende der aktuellen Gaza-Krise geebnet. Die radikale Palästinenserorganisation Hamas kündigte noch für Dienstagabend einen Waffenstillstand an.

Am Dienstag hatte die israelische Luftwaffe noch zu Mittag Flugblätter über Gaza-Stadt abgeworfen, die die Bewohner aufforderten, ihre Häuser sofort zu verlassen und sich im Zentrum zu sammeln. Die Bombardierung der mit 1,6 Millionen Menschen übervölkerten Küstenenklave durch die israelische Luftwaffe war im Verlauf des Tages zunächst unvermindert weitergegangen. Bisher wurden dabei 116 Menschen getötet, unter ihnen viele Frauen und Kinder, mehr als 900 wurden verletzt.

Auf israelischer Seite gab es durch Hamas-Raketen drei Tote und über 60 Verletzte. Auch in dieser Richtung ging das Feuer am Dienstag parallel zu den Verhandlungen weiter, zahlreiche Raketen wurden auf israelische Städte abgefeuert, darunter die Küstenstädte Ashdod und Ashkelon.

Ban: „Legitime Sorgen Israels“

Am Morgen hatte zuerst UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in Kairo beide Seiten aufgefordert, das Feuer umgehend einzustellen. Eine neuerliche Eskalation bringe die gesamte Region in Gefahr. Eine israelische Bodenoffensive werde „in einer weiteren Tragödie für Familien und Kinder münden“, fügte Ban hinzu, der anschließend nach Tel Aviv zu Gesprächen mit Staatspräsident Shimon Peres weiterflog.

Israel habe „legitime Sorgen um seine Sicherheit“, erklärte Ban, müsse aber seine Verpflichtungen aus internationalem Recht respektieren. Es sei notwendig, die Besetzung palästinensischer Gebiete endlich zu beenden und eine Zwei-Staaten-Lösung zu erreichen.
Derweil reisten zehn Außenminister der Arabischen Liga zusammen mit ihrem türkischen Kollegen Ahmet Davutoğlu zu einem weiteren Solidaritätsbesuch nach Gaza-Stadt. Der türkische Premier polterte derweil erneut gegen Israel und warf dem Land im Gaza-Konflikt „ethnische Säuberung“ vor. Die Palästinenser würden mit ihren Raketen nur von ihrem legitimen Recht zur Verteidigung Gebrauch machen.

In der Nacht auf Dienstag hatte Israels Kabinett überraschend bekannt gegeben, die Vorbereitungen für eine mögliche Bodenoffensive würden erst einmal gestoppt, um den Vermittlungsbemühungen in Kairo mehr Zeit zu geben.

Auch Clinton reist in Region

US-Präsident Barack Obama, der sich bei einem Asiengipfel in Kambodscha aufhielt, schickte seine Außenministerin Hillary Clinton in die Krisenregion. Clinton wird zuerst nach Israel und in die Westbank reisen, anschließend nach Kairo. Auch Außenminister Guido Westerwelle hielt sich am Dienstag in Jerusalem auf und traf am Abend in Kairo ein. Die Verhandlungen in der ägyptischen Hauptstadt stehen nach Angaben von Teilnehmern „kurz vor einer Einigung“, auch wenn unklar blieb, ob zunächst nur eine provisorische Waffenruhe zustande kommt, um Zeit für ein langfristiges Abkommen zu gewinnen. Die Hamas verlangt vor allem ein Ende der seit fünf Jahren dauernden Wirtschaftsblockade des Gazastreifens, Reisefreiheit für die Bürger sowie eine Garantie Israels, keine gezielten Tötungen mit Drohnen mehr vorzunehmen.

Kairo: Angst vor Massenansturm

Israel erwartet im Gegenzug eine langfristige Zusage der Hamas, die Raketenangriffe zu beenden und nicht mehr vom Sinai aus mit Terrorkommandos zu operieren. Weiter fordert Tel Aviv von Kairo, den Waffenschmuggel nach Gaza zu unterbinden.

In Ägypten war in den vergangenen Tagen die Befürchtung gewachsen, zehntausende Einwohner des Gazastreifens könnten im Falle einer israelischen Bodenoffensive versuchen, sich über die zwölf Kilometer lange Grenze im Süden der Enklave in Sicherheit zu bringen. Wie die ägyptische Presse berichtete, hat die Regierung bereits erste Vorkehrungen getroffen, um einen solchen Massenexodus aufzufangen. Der Gouverneur von Nordsinai ließ erklären, man bereite sich auf alle möglichen Szenarien vor, habe jedoch bisher aus Kairo nicht die Anweisung bekommen, Zeltlager für Flüchtlinge zu errichten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2012)

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