Die Gewinner und Verlierer des Gaza-Krieges

Gewinner Verlierer GazaKrieges
Gewinner Verlierer GazaKrieges c REUTERS YANNIS BEHRAKIS
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Die Waffen ruhen – und jeder sieht sich als Sieger. Doch wer sind nun die Gewinner, wer die Verlierer der "Operation Wolkensäule"? Tatsächlich hat vor allem Kairo profitiert. Eine Analyse.

Jerusalem. Die seit Mittwochabend geltende Feuerpause zwischen Israel und der Hamas scheint vorerst zu halten. Bis 21 Uhr haben sich beide Seiten noch einmal einen heftigen „Endspurt“ bei den Kämpfen geliefert, doch als das Abkommen in Kraft trat, wurde es schlagartig ruhiger.

Zwar gab es auch am Donnerstag noch vereinzelt Raketenalarm auf israelischer Seite, die Luftwaffe reagierte aber nicht mehr. Die israelischen Schulen in Ortschaften rund um den Gazastreifen blieben allerdings noch geschlossen. Auch die rund 40.000 Reservisten, die für einen Einmarsch mobilisiert wurden, wurden noch nicht nach Hause geschickt. Doch wer sind nun die Gewinner, wer die Verlierer der „Operation Wolkensäule“?

1 Die radikalislamische Hamas konnte die Isolation beenden

Die Islamisten riefen am Donnerstag einen nationalen Feiertag aus. Mit großer Erleichterung über das Ende der Gefechte feierten Zigtausende noch in der Nacht ihren „Sieg“. Nun würden die Grenzen geöffnet werden, und die Angriffe der Luftwaffe hätten ein Ende, meinte ein Hamas-Sprecher.

Die Details des Abkommens sind Verhandlungssache, doch egal, wie die Einigung am Ende aussieht: Die Hamas kann schon jetzt einen Punktesieg verbuchen. Der seit sechs Jahren bestehende Boykott gegen sie bröckelt. Auch wenn sich Ägyptens Präsident Mohammed Mursi als Feigenblatt vor die „Brüder“ in Gaza stellt, so ist die Feuerpause letztlich eine Einigung zwischen Israel und Hamas.

Man schneidet die Islamisten nicht mehr: Nach dem Emir von Katar kam diese Woche Ägyptens Premier nach Gaza, der türkische Außenminister kündigte seinen Besuch an. Die Islamisten konnten zudem länger als eine Woche den Luftangriffen standhalten. Die Perspektive auf ein schrittweises Ende des Embargos rechtfertigt für sie den bewaffneten Widerstand.

2 Palästinenserpräsident Abbas wurde an den Rand gedrängt

Abbas muss hilflos zusehen, wie die Hamas erneut die gesamte Rendite kassiert. Erst vor einem Jahr erzwang sie mit der Freilassung des entführten Soldaten Gilad Shalit die Entlassung von mehr als tausend Häftlingen, während die Verurteilten aus den Reihen der Fatah weiter in Haft sind.

Ramallah spielte bei den Verhandlungen um eine Feuerpause nicht die geringste Rolle, die Musik spielte im Gazastreifen. Abbas bleibt nur die Hoffnung auf New York. Kommende Woche wird die UN-Generalversammlung über eine Aufwertung der PLO zum Nichtmitglied mit Beobachterstatus entscheiden. Diesmal kann Washington kein Veto einlegen, wie 2011 im UN-Sicherheitsrat.

(c) Die Presse / MGM

3 Ägyptens Präsident Mursi war als Vermittler erfolgreich

Er gilt als der eigentliche Sieger des bewaffneten Konflikts, den vor allem er zu einem Ende brachte. Dafür gab es massives Lob von US-Außenministerin Hillary Clinton. Für Mursi hätte die Sache brenzlig werden können, wäre es ihm nicht gelungen, Israels massives Truppenaufgebot von einer Invasion abzuhalten. Er musste einen Balanceakt bewerkstelligen zwischen der anti-israelischen Stimmung im Volk, den zerstrittenen Islamisten in Gaza und Washington. Das internationale Debüt der neuen Führung in Kairo hätte kaum besser laufen können. Sogar Israel spricht von einem „fairen Vermittler“.

4 Die US-Regierung schaltete sich wieder in Nahost ein

Der Konflikt zwischen Israel und der Hamas ist ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und dem Iran. Beide versuchen, ihren Einfluss zu stärken. Die hastige Änderung von Hillary Clintons ursprünglichen Reiseplänen zeigt, wie viel den USA an einer Befriedung der Region liegt. Palästinenser im Westjordanland und auch in Gaza äußerten nach den Wahlen in den USA ihre Hoffnung, dass Präsident Obama seine zweite Amtszeit effektiver nutzen werde, um den Friedensprozess voranzutreiben.

5 Die israelische Regierung erreichte wichtige Kriegsziele

Jerusalem gab sich nicht weniger siegreich als die Hamas: „Wir haben alle unsere Ziele erreicht“, meinte Verteidigungsminister Ehud Barak. Es ging um die Wiederherstellung von Israels Abschreckungskraft und ein Ausdünnen des Raketenarsenals der Hamas sowie ein Ende der Angriffe aus dem Gazastreifen. In Sderot demonstrierten indes noch in der Nacht hunderte Menschen gegen die Feuerpause und forderten den Rücktritt von Premier Netanjahu.

Der tat gut daran, die Fehler von vor vier Jahren nicht zu wiederholen. Die Bodenoffensive mit 1400 Toten auf palästinensischer Seite zog damals eine Welle internationaler Verurteilungen nach sich. Diesmal klappte die PR-Kampagne ohne Abstriche. Die westlichen Regierungen hielten sich an die Version, dass die Hamas die Verantwortung für die Gewalt trage, und betonten Israels Recht auf Selbstverteidigung. Zudem funktionierte Israels Raketenabwehrsystem Eisenkuppel überraschend gut.

6 Die Zivilbevölkerung zählt wie in jedem Krieg zu den Verlieren

Während die Hamas vom „Sieg“ spricht, müssen 140 Familien ihre Angehörigen betrauern. Der Schrecken und die Zerstörung des Krieges vor vier Jahren waren noch nicht überwunden, schon ereilte die Palästinenser im Gazastreifen ein Déjà-vue. Für die israelische Bevölkerung kam hingegen überraschend, dass der lange Arm der Hamas bis nach Tel Aviv und Jerusalem reichte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2012)

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