Der Staat, der nur auf dem Papier existiert

Staat Papier existiert
Staat Papier existiert(c) AP (Majdi Mohammed)
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Die UN-Vollversammlung wollte die Palästinensergebiete zum "Beobachterstaat" aufwerten. Das bringt den Menschen in den besetzten Gebieten wenig.

Am 29. November stimmte die UN-Vollversammlung für die Teilung Palästinas in zwei Staaten, einen arabischen und einen jüdischen. Die Rede ist vom Jahr 1947. Genau 65 Jahre später stand auf der Agenda desselben Gremiums am Donnerstag ein Antrag aus Ramallah, die Palästinensergebiete zum Beobachterstaat aufzuwerten. Dass er mit deutlicher Mehrheit angenommen würde, daran bestand vorab kein Zweifel. Doch was sind die Folgen dieser Entscheidung?

1Was bedeutet die Aufwertung in der UNO rechtlich?

Das Palästinensergebiet bleibt Nichtmitglied, wird aber zum Beobachterstaat aufgewertet. Wichtig ist dabei das Wort „Staat“. In der Generalversammlung ändert sich für die Palästinenser nichts, Beobachterstatus hatten sie schon vorher. Die PLO darf auch in Zukunft nicht an Abstimmungen teilnehmen. Die Anerkennung als Staat ist aber entscheidend beim Diskurs um Westjordanland und Gazastreifen, denn sie hält fest, dass es sich um besetztes Land „in den Grenzen von 1967“ handelt. Die offizielle israelische Version nennt „Judäa und Samaria“ „umstrittenes Land“. Mit der UN-Aufwertung öffnet sich für die PLO der Weg, die Aufnahme bei anderen UN-Organisationen zu beantragen, darunter internationalen Gerichtshöfen.

2Warum zogen die Palästinenser gerade jetzt erneut vor die UNO?

Schon vor einem Jahr stellte Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas bei der UNO einen Antrag auf volle Mitgliedschaft. Damit scheiterte er, denn der Antrag hätte vom Sicherheitsrat verabschiedet werden müssen, und die USA kündigten ihr Veto an. Nach jahrelangem Stillstand im Friedensprozess und der Ausbreitung der israelischen Siedlungen im Westjordanland glaubte Abbas nur zwei Optionen zu haben: Gewalt oder den Versuch, den Konflikt auf die internationale Bühne zu heben. Abbas hat sich wiederholt gegen den militanten Widerstand ausgesprochen.

3Was sind die Folgen der PLO-Aufwertung für Israel?

Sollte die PLO vor den Internationalen Gerichtshof oder den Internationalen Strafgerichtshof (beide in Den Haag) ziehen, könnte Israel umgekehrt auch die Palästinenser vor die Richter zitieren, wenn etwa Raketen aus dem Gazastreifen abgeschossen werden. Davon abgesehen, ist die Aufwertung der PLO eine diplomatische Schlappe: „Wir haben Europa verloren“, schrieb die Zeitung „Haaretz“, da mehr als die Hälfte der EU-Staaten den Antrag unterstützen wollte. Dass Israels wichtiger Verbündeter Deutschland ankündigte, sich nur der Stimme zu enthalten, ist ein schwerer Schlag für Jerusalem.

4Was sind die Folgen für den Friedensprozess?

Für Israel verstößt der Schritt der Palästinenser gegen die Oslo-Abkommen. Jerusalem vergisst dabei eigene vertragliche Verpflichtungen, etwa keine neuen Siedlungen zu bauen und sogenannte „Vorposten“ zu räumen, was nie passiert ist. Die Friedensverhandlungen liegen seit vier Jahren auf Eis, da die PLO den Baustopp in den Siedlungen zur Bedingung macht, Israel dazu aber nicht bereit ist. An beidem wird sich ohne starken internationalen Druck nichts ändern. Der UN-Antrag der PLO hat damit auf die Verhandlungen unmittelbar keinen Einfluss. Er ruft zu neuen Gesprächen auf, die PLO bezieht sich zudem auf den UN-Teilungsbeschluss von 1947, der die Gründung zweier Staaten vorsah, eines arabischen und eines jüdischen. Damit erkennt die PLO Israel als jüdischen Staat an.

5Was ändert sich im Westjordanland und im Gazastreifen?

Für die Palästinenser ändert sich zunächst überhaupt nichts. Israel wird nicht zuletzt unter dem Druck von Washington von Strafmaßnahmen wie dem Einfrieren palästinensischer Steuergelder absehen. Trotzdem bleiben die Palästinenser komplett abhängig von der israelischen Regierung und der Armee, die die Grenzen kontrolliert und bei Bedarf Straßensperren aufstellt. Es ist also vor allem ein symbolischer Sieg Ramallahs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2012)

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