Der Machtkampf in Kairo eskaliert: Islamisten belagern das Verfassungsgericht, das daraufhin seine Tätigkeit aussetzt. In einer Erklärung sprechen die Richter von einem "psychologischen Mordanschlag".
Das ägyptische Verfassungsgericht hat nach Demonstrationen von Islamisten seine Arbeit auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Die Proteste seien ein "psychologischer Mordanschlag", hieß es am Sonntag in einer Erklärung des Gerichts. Die Richter würden ihre Arbeit erst wieder aufnehmen, wenn der "psychische und physische Druck" auf sie beendet werde.
Mehrere Hundert Islamisten hatten am frühen Morgen vor dem Gerichtsgebäude demonstriert und lautstark eine "Säuberung der Justiz" gefordert. Medienberichten zufolge hinderten sie die Richter auch daran, das Gebäude zu betreten und über die Rechtmäßigkeit der von Islamisten dominierten Verfassunggebenden Versammlung und der zweiten Parlamentskammer zu beraten.
Der Graben zwischen Anhängern und Gegnern des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi scheint sich weiter zu vertiefen. Allein in Kairo gingen am Wochenende Hunderttausende Menschen sowohl für als auch gegen den Staatschef sowie den umstrittenen Verfassungsentwurf auf die Straße.
"Anwendung von Gottes Gesetz"
Hunderttausende Islamisten demonstrierten am Samstag an der Universität von Kairo für Mursis Machterhalt. "Die Muslimbruderschaft unterstützt Mursis Entscheidungen", war auf Schildern zu lesen. Unter den Demonstranten waren viele verschleierte Frauen und Anhänger der Salafisten. "Das Volk fordert die Anwendung von Gottes Gesetz", skandierten sie. Die Menge hielt ägyptische Flaggen und Bilder von Mursi in die Höhe, nachdem sie ein Massengebet abgehalten hatte.
Kundgebungen für Mursi gab es auch in der zweitgrößten Stadt Alexandria und in der zentralen Provinz Assiut. Mursis Anhänger sehen in dem am Freitag angenommenen Verfassungsentwurf eine Garantie für Stabilität inmitten einer schweren politischen Krise. Der Opposition werfen sie vor, die Errungenschaften der Revolte von 2011 aufs Spiel zu setzen. Liberale, Laizisten und die koptischen Christen hatten die Arbeit der von Islamisten beherrschten Verfassungsgebenden Versammlung boykottiert.
Sie stehen dabei auf der Seite der Justiz: Das Verfassungsgericht hatte im Sommer eine frühere Verfassungsversammlung als unrechtmäßig aufgelöst. Um eine erneute Auflösung zu verhindern, hatte Mursi am 22. November in einem umstrittenen Dekret der Justiz die Auflösung der Versammlung und des ebenfalls von den Islamisten dominierten Oberhauses verboten. Daraufhin kam es zu einem Richter-Streik.
Referendum in 14 Tagen
Auf dem zentralen Tahrir-Platz in Ägyptens Hauptstadt harrten am Sonntag weiterhin Hunderte Gegner Mursis aus, die sowohl das Dekret als auch die Verfassung ablehnen, die in ihren Augen die Vorherrschaft der Islamisten zementiert. Der Verfassungsentwurf war am Samstagabend Mursi übergeben worden. Der Präsident setzte für den 15. Dezember ein Referendum über den Text an. Die Opposition hat zum Boykott des Referendums aufgerufen.
(APA/Reuters/Red.)