"Krieg der Steine": Als die erste Intifada begann

Krieg Steine erste Intifada
Krieg Steine erste Intifada(c) Reuters
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Vor 25 Jahren löst ein Auto-Crash den Palästinenser-Aufstand aus. Mit Flugzetteln, Streiks und Steinen rebellieren sie gegen israelische Besatzer. Ein Rückblick.

8. Dezember 1987, Gazastreifen: Ein israelischer Lkw kracht mit zwei palästinensischen Fahrzeugen zusammen. Vier Palästinenser sterben. An einen Unfall glaubt im Gazastreifen niemand. Rasch kursieren Gerüchte, wonach es sich um einen Racheakt gehandelt habe. Die Vermutung: Der Fahrer sei mit einem israelischen Unternehmer verwandt, der zwei Tage zuvor in Gaza-Stadt erstochen wurde. Auf einen Schlag entlädt sich die Wut der Palästinenser über die israelischen Besatzer in einer bis dahin nicht gekannten Intensität: Wie ein Flächenbrand breiten sich Proteste im Gazastreifen aus und schwappen auch auf das Westjordanland über. Erstmals zeigt Palästina der Welt sein Nationalbewusstsein, die erste Intifada („Erhebung", "Erweckung") hat begonnen. Sie wird fünf Jahre dauern und je nach Schätzung bis zu 1100 Palästinenser und 170 Israelis das Leben kosten.

Ein Unfall mag die ersten Intifada ausgelöst haben, doch die Ursachen sind vielschichtig: Bürgerrechte gab es in den besetzten Gebieten nicht, das Land war knapp, die Arbeitslosigkeit hoch - genauso wie die Geburtenrate. In den Flüchtlingslagern im Gazastreifen wuchs im Angesicht israelischer Soldaten eine frustrierte Jugend heran, die rasch einen Großteil der Bevölkerung stellte. Die palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) hatte sich längst ins tunesische Exil verabschiedet. Auch sie wird schließlich vom Aufstand überrascht.

Um die Welt gehen Bilder von teils vermummten Jugendlichen, die in Ermangelung schwerer Waffen Steine nach israelischen Soldaten werfen, später auch Molotow-Cocktails. Diese Jugendlichen sind das Gesicht der ersten Intifada. Doch der Aufstand beschränkt sich nicht auf den „Krieg der Steine". Israelische Produkte und Geschäfte werden boykottiert, Straßensperren errichtet, palästinensische Flaggen gehisst, Steuern nicht bezahlt („no taxation without representation"), und trotz Verbots Flugzettel verteilt.

"Die Geburtsstunde der Hamas"

Anfang Jänner 1988 taucht auf einem Flugblatt auch erstmals der Name Hamas auf. Die radikalislamistische Organisation dürfte zwei Jahre zuvor als Ableger der Muslimbrüder gegründet worden sein. Doch die Intifada ist ihre eigentliche Geburtsstunde. Zunächst beschränkt sich die Hamas auf Wohltätigkeitsaufgaben. Doch in diesem Jahr, 1988, ruft sie in ihrer Charta zum "Heiligen Krieg" auf. Bis heute erkennt die Hamas das Existenzrecht Israels nicht an und bis heute halten sich Verschwörungstheorien, wonach die Hamas mit heimlicher Unterstützung Israels gegründet wurde, um die Position der PLO zu schwächen.

Israel reagiert mit eiserner Härte auf den Aufstand: Ausgangssperren werden verhängt, mitunter auch Strom und Wasser abgedreht sowie Schulen geschlossen. Es wird geschossen - mit scharfer Munition, Tränengas und später auch mit nicht-tödlichen Gummigeschossen. Eine zweifelhafte Rolle spielt dabei der damalige Verteidigungsminister (und spätere Friedensnobelpreisträger) Jitzhak Rabin. Er ordnet angeblich an, Aufständischen "die Knochen zu brechen". Ein Video zeigt dann auch, wie sich Soldaten an Palästinensern vergehen. Doch die harte Reaktion Israels auf die Intifada befeuert den Aufstand nur noch.

Die Geschlossenheit im Gazastreifen und Westjordanland wird aber auch aus der Angst vor inner-palästinensischen Übergriffen gespeist: Hunderte Kollaborateure werden erschossen, schon der Verdacht einer Zusammenarbeit mit dem israelischen Inlandsgeheimdeinst Schin Bet kann zum Mord führen.

Die Weltöffentlichkeit hat zu diesem Zeitpunkt längst den Blick nach Nahost gerichtet. Und das benachbarte Jordanien reagiert auf die Intifada, indem es das vom Aufstand erfasste Westjordanland abtritt - aus Angst davor, selbst in den Konflikt hineingezogen zu werden. Es ist ein symbolischer Akt, denn das Gebiet bleibt ohnehin von Israel besetzt. Die PLO proklamierte bereits zwei Jahre zuvor in Algier den Staat Palästina.

Nach 1991 ebbt die Gewalt ab, doch es dauert noch zwei Jahre bis ein brüchiger Frieden einkehrt.
An der Seite von US-Präsident Bill Clinton präsentieren die beiden Todfeinde PLO-Chef Jassir Arafat und der mittlerweile zum israelischen Premier aufgestiegene Jitzhak Rabin das Oslo-Abkommen. Die PLO kehrt aus dem Exil zurück und soll die Palästinenser in die Autonomie führen. Doch das Papier klammert die heikelsten Fragen (Siedlungen, Grenzverläufe, etc.) aus. Und sieben Jahre nach dem Ende der ersten beginnt die zweite Intifada ...

(jst)

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