Historiker: "Zum Militär geht, wer keine andere Wahl hat"

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Bundeswehr(c) REUTERS (MORRIS MAC MATZEN)
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Der streitbare Historiker Michael Wolffsohn ist der Stachel im Fleisch deutscher Heeresreformer. Er warnt vor einem Staat im Staate, durchsetzt von Rechtsextremen und einer gewaltbereiten Unterschicht.

War die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland ein Fehler?

Michael Wolffsohn: Sie war unumgänglich. Es ist sinnlos, sich gegen die Geschichte zu stemmen. Die gesellschaftliche Entwicklung geht hin zur Berufsarmee. Mit dem Ende des Kalten Krieges entfiel die Legitimationsgrundlage der Wehrpflicht. Es ist ein Faktum der Weltgeschichte: Freiwillig gehen die Menschen nicht zum Militär, es sei denn, sie kommen dadurch zu Macht, Ansehen oder Geld. Ansehen hat der Militärberuf hier seit dem Zweiten Weltkrieg gar keines mehr. Es war nur eine Frage der Zeit, dass die Wehrpflicht abgeschafft wurde. Und ich fresse jeden Besen dieser Welt, dass es auch in Österreich dazu kommt.

Ihre These von der „Ossifizierung“, einer Dominanz der Ostdeutschen im Heer, hat viel böses Blut gemacht...

Der Begriff war nicht besonders glücklich gewählt. Aber der Sachverhalt dahinter ist nachprüfbar: Es gehen die zum Militär, die keine andere Wahl haben. Sie kommen meist aus wirtschaftlich schwachen Regionen, vor allem aus Ostdeutschland, wo der zivile Arbeitsmarkt wenige Möglichkeiten bietet. Es ist ein Gerechtigkeitsproblem, wenn die Ärmsten zum Militär müssen. Was bei der Zweiklassenmedizin gebrandmarkt wird – wenn du arm bist, musst du früher sterben –, das wird hier übertragen auf die Sicherheitspolitik. Ich halte das für inakzeptabel.

Sie sagen: Mehr Unterschicht im Heer führt zu einer Brutalisierung der Kriegsführung...

Die Ärmeren sind schlechter ausgebildet. Gebildete sind keine besseren Menschen. Auch Professoren waren vor brauner Färbung nicht sicher, aber es waren nicht sie, die mit Genuss getötet haben. Die Verzweifelten, Perspektivlosen neigen eher zur Gewalt. Es ist kein Zufall, dass in einer Berufsarmee wie der amerikanischen Abu Ghraib passieren konnte. Auch in Israels Armee mit Wehrpflicht gibt es hier und da Übergriffe. Aber sie sind weniger brutal und werden aufgedeckt. Da spiegelt sich die Gesellschaft in der Armee und behält die Kontrolle.

Israel ist von Feinden umgeben. Ein solches Bedrohungsbild gibt es gottlob in kaum einem anderen Land. Damit ist Ihr Ideal woanders nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Richtig. Der Militärdienst ist aber kein Ideal an sich. Ich war drei Jahre im israelischen Militär und froh über jeden Tag, der vorbei war. Aber man muss das große Ganze sehen. Wann wurde die Wehrpflicht eingeführt? Mit der Französischen Revolution. Zum Recht auf politische Teilhabe kam die Pflicht: Teilhabe an der Sicherheit der Nation. Wahlrecht und Wehrpflicht gehören zusammen. Sobald Sie das trennen, wird jede Streitmacht zum Staat im Staate. Und wenn zu wenige zum Heer wollen, brauchen wir wieder Söldner – ein historischer Rückfall.

Besteht die Gefahr, dass Rechtsextreme das Heer unterwandern?

Wer wählt rechtsextreme Parteien? Vornehmlich die wirtschaftlich schlechter Gestellten. Damit können Sie eins und eins zusammenzählen: Es werden mehr Rechtsextremisten in die Bundeswehr drängen. Die Führung will das abblocken. Wenn das gelingt, gibt es vielleicht zu wenige Soldaten. Wenn aber die Rechten kommen, wird das Heer in seiner demokratischen Substanz bedroht. Wir wollen ja das Primat der Politik aufrechterhalten. Und das wird schwieriger, wenn sich breite Mannschaftsgrade vom politischen System distanzieren. Die Wehrpflicht wurde abgeschafft, weil die demokratisch-bürgerlichen Schichten sich ihr entzogen haben – und die bekommen jetzt die Rechnung präsentiert.

Wie soll das Heer künftig intervenieren? Sie plädieren für „Rein-raus-Strategien“ statt langer Einsätze wie in Afghanistan. Ihr Verteidigungsminister meint: Ihm wäre das auch lieber, aber die Wirklichkeit richte sich eben nicht nach Professorenwünschen...

Die Strategie in Afghanistan, wenn es denn eine gibt, hat zu nichts geführt. Ein Gemeinwesen aufbauen, das kann keine Streitkraft der Welt. De Maizière trifft da keine Schuld, er wickelt Afghanistan nur ab. Nur: Wenn wieder starke Infanteriekräfte für eine Interventionsarmee geplant werden, haben wir das Gleiche wieder. Das ist völlig daneben, geht an den Möglichkeiten der modernen Kriegsführung vorbei. Sie brauchen eine schlagkräftige Hochtechnologie-Armee, mit relativ wenigen, aber sehr gut ausgebildeten Leuten, um gezielt, mit einer Minimalzahl an zivilen Opfern und Schäden, die Gefahr ausschalten zu können. Das kostet natürlich mehr.

Was empfehlen Sie den Österreichern für ihre Volksbefragung zur Wehrpflicht?

Die Allgemeinheit hat verständlicherweise kein Interesse an der Wehrpflicht. Die Österreicher brauchen auch nicht so viele Soldaten. Aber sie müssen wissen, was Abschaffung bedeutet: Man braucht dramatisch mehr Geld für diejenigen, die man im Heer haben will.

Die Bürger haben auch wenig Verständnis für Einsätze in fernen Weltgegenden...

Das ist die Frage! Österreich gehörte dankenswerterweise immer zur westeuropäischen Gesellschaft. Wir haben ja in unserer gemeinsamen Geschichte nicht nur eine Killertradition, sondern auch eine hochethische: dass Gemetzel beendet werden, dass die arbeitsteilige Weltwirtschaft aufrechterhalten und Rohstoffe zugänglich bleiben – alles notwendig. Die Distanz zum Krieg möge bleiben. Aber manchmal ist er eben das kleinere Übel, um eine größere Katastrophe zu verhindern.

Zur Person

Michael Wolffsohn(65) ist ein deutscher Historiker und Publizist. Er lehrte bis zu seiner heurigen Emeritierung an der Universität der Bundeswehr in München.

Provokante Thesen haben den „deutsch-jüdischen Patrioten“ öffentlich bekannt gemacht. So warnte er nach der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 in einem Artikel in der „Welt“ vor einer „Ossifizierung“ der Bundeswehr. Damit trat er eine Debatte los, in der sich auch Verteidigungsminister de Maizière mit einer schriftlichen Replik zu Wort meldete.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.12.2012)

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