Syrien: "Die Reserven der Menschen sind aufgebraucht"

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Franz Luef von Ärzte ohne Grenzen arbeitete mehrere Monate in einem Notspital in Syrien. Der "Presse" berichtet er vom Mangel an Medikamenten und Heizmaterial - und der anfänglichen Skepsis der Bevölkerung.

Wien. „Der Winter naht, und die Kräfte und Reserven der Menschen sind aufgebraucht. Die Situation wird sich weiter verschärfen“, sagt Franz Luef über die humanitäre Lage in Syrien. Der 38-jährige Mitarbeiter der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ war von Anfang September bis Dezember Einsatzleiter eines kleinen Spitals im Nordwesten Syriens. „Es mangelt an Nahrung und Kleidung“, erzählt Luef im Gespräch mit der „Presse“. „Es wird immer kälter, die Menschen können ihre Wohnungen aber nicht beheizen.“

Mit einem 60-köpfigen Team aus ausländischen Experten und lokalen Hilfskräften gelang es dem gebürtigen Steirer in nur drei Wochen, ein funktionsfähiges Krankenhaus aufzubauen. Anfangs sei die Bevölkerung aber sehr skeptisch gegenüber den Bemühungen der ausländischen Helfer gewesen. „Der Bürgerkrieg hat die Menschen gegenüber internationalen Akteuren misstrauisch gemacht. Außerdem ist unsere Organisation im arabischen Raum wenig bekannt“, berichtet Luef. Diese Skepsis habe sich erst nach einiger Zeit gelegt: „Nachdem wir das Spital eröffnet hatten und die Menschen sahen, dass wir um ihre Gesundheit bemüht waren, konnten wir sie von uns überzeugen.“

Lob für türkische Behörden

Doch man hatte nicht nur mit der Skepsis der Bevölkerung zu kämpfen: Probleme bereitete auch die Beschaffung von Medikamenten.

„Auch wenn die Verhandlungen schwierig waren, muss ich den türkischen Behörden meinen Dank aussprechen“, sagt Luef. Mithilfe des türkischen roten Halbmondes könne man Medikamente und technische Geräte über die Türkei nach Syrien liefern.

Diese Kooperation war auch auch bitter notwendig, da das 20 Betten fassende Spital sehr bald an seine Kapazitätsgrenzen stieß. „Ärzte ohne Grenzen“ betreibt in Syrien mittlerweile drei solcher Spitäler und will umfassende medizinische Versorgung anbieten: So gibt es neben einer Notaufnahme für Verwundete auch eine Geburtenstation. „An einem einzigen Tag kamen neun Kinder zur Welt“, erzählt Luef.

Allerdings haben viele Menschen keinen sicheren Zugang mehr zu medizinischer Versorgung: „Syrien hatte ein sehr gutes Gesundheitssystem. Es gab einen regelrechten Gesundheitstourismus in der Region. All das ist mit dem Konflikt zusammengebrochen.“ Spitäler werden bombardiert und überall mangle es an Medikamenten. „Die internationale Gemeinschaft muss endlich auf beide Konfliktparteien Druck ausüben, um den Zugang zu medizinischer Versorgung wieder zu ermöglichen“, fordert Luef.

UN-Report: Jagd auf Minderheiten

Unterdessen warnte ein am Donnerstag veröffentlichter UN-Bericht vor dem „zunehmend konfessionellen und ethnischen Charakter“ des syrischen Bürgerkriegs: „Ganze Religionsgemeinschaften könnten aus dem Land gedrängt werden.“ Die Regierung attackiere Sunniten, während regierungsfeindliche Kräfte auf Alawiten, Christen und Drusen Jagd machten, heißt es in dem Bericht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2012)

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