Ägypten: „Der Geist der Revolution ist noch am Leben“

Proteste in Ägypten
Proteste in Ägypten(c) REUTERS (AMR ABDALLAH DALSH)
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Einst rief der Sozialdemokrat und Christ Ihab El Kharat auf dem Tahrir-Platz Christen und Muslime zum gemeinsamen Aufstand gegen Machthaber Mubarak auf. Heute kämpft er gegen die Muslimbruderschaft.

Er ist zurück auf der Straße; zurück bei den tausenden Menschen, die im Herzen Kairos ihre Wut herausschreien – und hoffen, ihre Stimmen sind mächtig genug, um den Präsidenten in die Knie zu zwingen. „Wir werden weiter friedlich demonstrieren“, sagt Ihab El Kharat. Der Psychiater und Sohn des ägyptischen Autors Edward El Kharat hat klare Forderungen: Ägyptens Staatschef Mohammed Mursi muss den Entwurf einer neuen Verfassung zurückziehen.

Am Samstag soll in der zweiten Runde eines Referendums über den Entwurf abgestimmt werden. Linke und liberale Aktivisten wie Ihab El Kharat sind für ein striktes Nein. Sie sind besorgt wegen einiger Verfassungspassagen, die breiten Interpretationsspielraum zulassen und so Einfallstore für eine Islamisierung des Rechtswesens darstellen könnten. Und sie sind erbost darüber, dass Vertreter der Muslimbrüder und der radikalen Salafisten den Entwurf im Alleingang durchgepeitscht haben. „Muslimbrüder und Salafisten wollen Ägypten nach ihren eigenen Vorstellungen umformen“, schimpft El Kharat. Das will er keinesfalls akzeptieren.

Gemeinsames Gebet am Tahrir

Der Sozialdemokrat hat sich schon einmal aufgelehnt gegen die Regierenden, damals im Februar 2011, als Zehntausende Kairos Tahrir-Platz besetzt hielten. Frauen mit offenem wallenden Haar und Frauen in der Vollverschleierung Niqab, Tagelöhner und Intellektuelle, Marxisten, Liberale und Islamisten – sie alle zogen an einem Strang, um den Autokraten Hosni Mubarak aus seiner Machtposition zu vertreiben.

El Kharat, ein wichtiger Vertreter der protestantischen Kasr-El-Doubara-Kirche, predigte damals auf dem Tahrir-Platz. „Christen und Muslime sind eins“, rief er und zitierte Bibelstellen über Freiheit und Gerechtigkeit. Christen und Muslime sprachen gemeinsam das „Vaterunser“. „Natürlich gibt es Christen, die sich vor den politischen islamischen Bewegungen fürchten“, meinte er damals im Gespräch. Doch Mubarak, der sich als Garant für ein säkulares Ägypten gerierte, spiele mit dieser Angst und beraube die Ägypter – quasi als „Schutzgeld“ – ihrer politischen Rechte, sagte der Christ.

Hatte er die Muslimbrüder damals unterschätzt? „Ich habe die Salafisten unterschätzt“, meint Ihab El Kharat heute. Er hatte erwartet, dass die Muslimbrüder bei Wahlen gut abscheiden würden, da sie durch ihre Sozialprojekte vor allem bei sozial schwächeren Schichten großes Ansehen genießen. Er hatte aber nicht erwartet, dass so viele auch für die Salafisten stimmen würden, die sich eine Gesellschaft ähnlich der zu den Zeiten des Propheten Mohammed zurückwünschen.

Ohne Hilfe der Salafisten hätten die Muslimbrüder den Verfassungsentwurf nicht in dieser Form durchboxen können, sagt El Kharat. Und er gibt zu, dass die Wahlerfolge der Islamisten auch mit der Schwäche von Ägyptens linken und liberalen Parteien zu tun haben: „Die Abstimmungen fanden zu einer Zeit statt als wir noch keine richtigen Strukturen hatten.“ Doch der Funktionär der sozialdemokratischen Partei hofft, dass sich die Verhältnisse ändern.

„Von den Islamisten enttäuscht“

Einen Teil seines Optimismus bezieht er aus den Resultaten des ersten Durchgangs des Verfassungsreferendums: „Trotz Manipulationen war der Sieg der Islamisten nicht überragend. Immerhin haben auch offiziell 44 Prozent mit Nein gestimmt. In Kairo wurde der Entwurf sogar abgelehnt.“ Vor allem das gebildete Bürgertum habe gegen die Islamisten gestimmt, meint El Kharat. Muslimbrüdern und Salafisten solle das zu denken geben: „Wenn man nach einer Revolution eine Verfassung verabschieden will, sollte man dafür eine Zustimmung von zwei Dritteln der Bevölkerung haben.“

Der Sozialdemokrat glaubt, dass immer mehr Menschen von Muslimbrüdern und den Salafisten enttäuscht sind. „Bei den nächsten Wahlen werden die Islamisten viel von ihrer Macht verlieren“, sagt er und fügt rasch hinzu: „Vorausgesetzt, es gibt noch einmal freie Wahlen.“ Der einstige Tahrir-Aktivist will sich jedoch keinesfalls unterkriegen lassen: „Der Geist der Revolution ist noch immer am Leben und er ist stark.“

Buchtipp

Ihab El Kharat und zigtausende andere kämpften in der arabischen Welt für mehr Freiheit. Aber was wurde aus ihren Hoffnungen? Das beschreibt das Buch von „Presse“-Außenpolitikredakteur Wieland Schneider: „Das Ende der Angst?“ (Braumüller Verlag)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2012)

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