Pekings Zensur ließ Film über Umsturz durchrutschen

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Das Staats-TV zeigte "V wie Vendetta" unzensuriert: Darin zettelt ein maskierter Rebell eine Revolution gegen ein korruptes und autoritäres Regime an. Zeichen der Lockerung - oder passierte den Zensoren ein Lapsus?

Peking. Normalerweise bleibt in China kein Kinofilm von der Zensur verschont. Allzu gesellschaftskritische Streifen laufen überhaupt nicht im Kino oder werden entsprechend zurechtgestutzt. Selbst der politisch unverdächtige dritte Teil des Hollywood-Klamauks „Men in Black“ fiel der Zensur zum Opfer: Sämtliche Szenen, die in New Yorks Chinatown stattfanden, schnitten die Behörden heraus.

Umso überraschender, als kürzlich der Staatssender CCTV auf seinem Filmkanal in voller Länge den Streifen „V wie Vendetta“ ausstrahlte, in dem ein maskierter Rebell im futuristischen London eine Revolution gegen ein korruptes und autoritäres Regime anführt und sowohl persönliche Rache nimmt als auch einen politischen Umsturz anstachelt. Die Maske aus dem Film ist seitdem zum Inbegriff für den Befreiungskampf schlechthin geworden – auch unter Dissidenten in China.

Die Ausstrahlung des Films wird in Chinas sozialen Netzwerken seither heiß diskutiert. „Dieser großartige Film beschreibt passend das derzeitige Verhältnis zwischen Volk und Regierung in China“, twittert der in Peking von staatlichen Stellen unter Beobachtung stehende Menschenrechtsaktivist Hu Jia: „Diktatoren, Geheimpolizei, Repression auf der einen Seite – Angst, Widerstand und der Wunsch nach einem Tyrannensturz auf der anderen.“ Der berühmte Filmausspruch „Ein Volk sollte keine Angst vor seiner Regierung haben, eine Regierung sollte Angst vor ihrem Volk haben“ ist im Kurznachrichtendienst Sina-Weibo derzeit einer der meistzitierten.

Ein Blogger rätselt bereits, ob die Ausstrahlung ein Versehen ist und innerhalb der staatlichen Filmaufsicht nun die Köpfe rollen. Andere Blogger erkennen darin ein Signal der neuen Führung, die Zensurbestimmungen zu lockern.

„V wie Sondereinsatzkommando“

Tatsächlich hat Chinas im November neu ernanntes Staatsoberhaupt, Xi Jinping, angekündigt, den bisherigen Führungsstil abspecken zu wollen und damit auch die Staatskontrollen zurückzufahren. Der ehemalige Propaganda- und Informationsminister, Liu Yunshan, ist zwar zu den mächtigen Sieben des Ständigen Ausschusses des Politbüros aufgestiegen, aber nicht mehr für Zensur zuständig. Prompt berichtete CCTV auch über Hühnerfleischskandale, was es vorher nicht gegeben hatte. „Ich bin so aufgeregt“, schreibt eine Mikrobloggerin auf Sina-Weibo. „Es gibt also doch noch Hoffnung für dieses Land.“

Der US-amerikanische China-Experte und Autor Robert Lawrence Kuhn warnt allerdings vor allzu großen Erwartungen: Einige Zensurbestimmungen würden sicherlich gelockert werden, glaubt der Verfasser des Buches „Wie Chinas Führung denkt“. Aber viele Zusagen werde auch die neue Führung nicht machen. Sie muss vorsichtig sein, sagt Kuhn. Denn im Zeitalter des Internets sei jede Ankündigung gleich auf ewig dokumentiert und für alle abrufbar.

Ein bisschen an der Zensurschraube haben die Behörden bei dem Film denn doch gedreht: Das italienische Wort Vendetta des Originaltitels wurde nicht mit Blutrache übersetzt. Auf Chinesisch lautet der Titel: „V wie Sondereinsatzkommando“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2012)

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