Aleppo: Wenn der Tod zum Alltag wird

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Nach 21 Monaten Krieg im syrischen Aleppo gibt es nur noch eine Devise: irgendwie überleben. Zur schlechten Versorgungslage kommt nun die Kälte. Im Winter sinken die Temperaturen bis zum Gefrierpunkt.

Mohammed sticht mit der Schaufel, Hassan mit der Spitzhacke in die feuchte rote Erde. Gerade ist eine neue Leiche angekommen, ein Grab muss her. Die Erde ist ein schwerer Matsch bei diesem Dauerregen, doch die beiden Totengräber kommen gut voran. Sie sind ein eingespieltes Team, obwohl sie dies erst seit drei Monaten machen. Der Krieg gab ihnen keine Atempause.

Der Märtyrerfriedhof in Aleppo ist mit neuen Gräbern übersät. Es sind lieblose Erdhaufen mit abgebrochenen Stücken von Steinplatten, schief in den Bodenf gesteckt, auf die Namen gemalt wurden, die man meist schon gar nicht mehr lesen kann. Rebellen der Freien Syrischen Armee und reguläre Soldaten liegen friedlich nebeneinander. „Da haben wir Amar Sedar, er wurde bei der Eroberung einer Militärschule getötet“, erzählt Hassan. Gleich daneben liegt ein Offizier des Regimes. „Er war Christ“, mischt sich Mohammed ein: „Wir haben ihn nicht in eine Decke gewickelt. Er könnte ja ein Märtyrer sein. Das wird Gott entscheiden.“ Totengräber war für die beiden Männer Mitte dreißig die letzte Alternative, wegen des Kriegs gab es keine Arbeit mehr. „Hier bekommen wir zwar kein Gehalt“, sagt Mohammed, „aber die Trauernden geben uns Trinkgeld. Nicht viel, aber es hilft zu überleben.“

Schulbänke als Brennholz

„Hauptsache überleben“ ist die Devise der meisten Bewohner Aleppos. In einem Imbiss in Tarek al-Bab brutzeln zwar Hühner auf dem Grill, Pommes sieden im Fett, auch Salat und Brot gibt es. Nebenan kann man auf dem Markt frisches Obst und Gemüse kaufen. Aber nur wenige Menschen können sich das leisten. Die Preise sind bis aufs Zehnfache gestiegen. Am Imbiss schnappen sich verschmutzte Kinder die Reste, die Gäste zurücklassen, und stopfen sie gierig in sich hinein. Im Müll, der sich überall sammelt, suchen Menschen nach Verwertbarem.
Zur schlechten Versorgungslage kommt die Kälte. Im Winter sinken die Temperaturen bis zum Gefrierpunkt. „Wenn der Regen aufhört, gibt es meistens Frost“, sagt Mohammed, ein Englischlehrer. In seiner Grundschule hat man die Bänke aus den Klassenzimmern zu Brennholz verarbeitet.

In Bab al-Hadid, einem von neun antiken Toren zur Altstadt, gibt es genug Brennholz zu kaufen. „Schnell, schnell“, ruft der Taxifahrer. „Bis zum Tor müssen wir laufen.“ Die Zitadelle ist in Sicht. Dort sind Scharfschützen der Armee postiert. Entlang des Wegs sieht man zahlreiche Löcher der Schüsse, die von dort abgefeuert wurden. „Hier starb mein Freund“, sagt ein älterer Herr und zeigt auf die alte Steinwand mit mehreren Einschüssen. „Dahinten starben 20 Menschen bei einem Mörserangriff“, ruft ein anderer und zeigt zum Ende der Gasse. Dass beide jeden Moment von einer Kugel in den Kopf oder in den Hals getroffen werden können, scheint ihnen egal zu sein, nach 21 Monaten Krieg. Man hat sich an den Alltag des Todes gewöhnt. Sogar an die Möglichkeit, selbst jederzeit zu sterben. Zum Glück trinken die Scharfschützen oben auf der Zitadelle gerade Tee oder sitzen beim Mittagessen, vielleicht sind sie eingeschlafen oder haben auch einfach gerade keine Lust, jemanden zu erschießen.

Spital wegen schlechter Publicity zerstört

Der Manager und leitende Operateur eines Spitals empfängt in seinem Büro. Normalerweise lässt er keine Journalisten ins Haus und besteht darauf, keine Namen zu nennen und besonders keine Fotos zu machen: „Journalisten sind für die Zerstörung des Dar-al-Schifa-Hospitals verantwortlich“, sagt der Arzt mit Nachdruck, aber ohne vorwurfsvollen Ton. „Ich möchte nicht, dass das hier passiert. Ich bin für meine Mitarbeiter verantwortlich. Wir sind eine Familie.“

Am 22. November hat die Luftwaffe das größte Krankenhaus in dem von Rebellen kontrollierten Teil der Stadt bombardiert. 15 Menschen, darunter zwei Kinder und ein Arzt, wurden getötet, 40 weitere unter den Trümmern begraben. Seit September hatten internationale Journalisten aus aller Welt über das Dar al-Schifa berichtet. Fotos von Hunderten von verletzten und toten Zivilisten gingen um die Welt. Eine schlechte Publicity für das Regime von Bashar al-Assad. Also wurde das Spital zerstört.

Unmittelbar nach der Bombardierung des Krankenhauses musste die Freie Syrische Armee die Journalisten vor einer aufgebrachten Meute schützen, um Schlimmeres zu verhindern. Die Menschen warfen Steine auf Fotografen und Reporter. Der Volkszorn hatte die Schuldigen für die Zerstörung und den Tod der Landsleute ausgemacht.

„Viele schießen direkt ins Herz“

„Sie werden verstehen“, sagt der Leiter des bisher nicht bombardierten Hospitals, „dass mein Personal und die Sicherheitsleute die Anweisung haben, Journalisten abzuweisen.“ Diese Pressepolitik habe bewiesen, dass sie funktioniert. „Um uns herum wurden viele Gebäude beschossen, aber nicht unser Krankenhaus. Je weniger Aufmerksamkeit, desto besser.“ Der Manager des Hospitals, der lange Zeit in Großbritannien arbeitete, versichert, dass man für Nothilfe bestens ausgerüstet sei. Aus aller Welt träfen Hilfslieferungen ein. 60 Prozent aller Patienten seien Zivilisten. Viele Verletzungen rührten von Scharfschützen her. „Viele sind sehr professionell und schießen direkt ins Herz oder in den Kopf und man kann nur noch den Tod der Opfer feststellen.“ Aber es gäbe auch Glücksfälle, wie den eines zehnjährigen Buben. „Die Kugel ging in den Hals und auf der anderen Seite wieder heraus, ohne etwas Nennenswertes zu verletzen. Ich konnte ihn sofort wieder nach Hause schicken.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2012)

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