Fiskalstreit: Galgenfrist für US-Wirtschaft

USA CONGRESS BOEHNER FISCAL CLIFF
USA CONGRESS BOEHNER FISCAL CLIFFEPA
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Der Senat verschiebt die Entscheidung über notwendige Etatkürzungen um zwei Monate, das Tauziehen um eine nachhaltige Budgetsanierung geht weiter.

Washington. Diese Einigung kommt dem Eingeständnis gleich, dass es keine Einigung gibt. In Washington haben Demokraten und Republikaner den Budgetstreit um die sogenannte „Fiskalklippe“ im alten Jahr nicht gelöst und in der Neujahrsnacht kurz nach Mitternacht lediglich im Senat einen dürftigen Kompromiss über höhere Steuern für Besserverdienende erzielt. Im Kräftemessen um umfassende Etatkürzungen vereinbarte der Senat einen Aufschub von zwei Monaten.

Ob das von den Republikanern dominierte Repräsentantenhaus dem Minimalkonsens zustimmen würde, war nicht sicher. Durch das Verpassen der Frist vom 31. Dezember sind die USA zunächst technisch über die Klippe geschlittert. Ohne Nachbesserungen würde dies Kürzungen von 110 Mrd. Dollar und die Erhöhung aller Einkommensteuern um 540 Mrd. Dollar bedeuten. „Nachdem weder Demokraten noch Republikaner alles bekamen, was sie wollten, ist diese Vereinbarung die richtige Maßnahme für unser Land, und das Repräsentantenhaus sollte sie ohne Verzögerung absegnen“, erklärte US-Präsident Barack Obama in der Neujahrsnacht.

Widerstand im „House“

Der Senat, in dem die Demokraten die Mehrheit haben, votierte nach den wochenlangen Debatten gegen zwei Uhr morgens mit 89 zu acht Stimmen klar für die Vereinbarung. Doch bei den Republikanern im „House“ ist der Widerstand weiterhin stark. „Ich werde Nein sagen“, kündigte der Abgeordnete Tim Huelskamp aus Kansas im TV-Sender CNN an. Die Vereinbarung belaste Kleinunternehmer und klammere Einsparungen im Bundesetat aus.

Aus Sorge vor einer erneuten Rezession hatten Experten die Parteien im Vorfeld zur Einigung aufgerufen. Die zentrale Streitfrage: Die Republikaner wollten das Budgetdefizit über Etatkürzungen lindern, während die Demokraten das Gewicht auf höhere Steuern für Besserverdiener legten. Obama hat im Wahlkampf ein Ende der unter seinem Vorgänger George W. Bush verfügten Steuererleichterungen für Einkommen oberhalb von 250.000 Dollar angekündigt. In der Nacht einigte sich der Senat auf eine Grenze von 400.000 Dollar für Einzelpersonen und 450.000 Dollar für Ehepaare.

Tatsächlich haben die USA zu geringe Steuereinnahmen. Sie liegen mit derzeit 17 Prozent des BIPs auf einem niedrigen Niveau, das lediglich unmittelbar nach 9/11 und zweimal kurzfristig in den 1950-er und 1970-er Jahren unterschritten wurde. Durch die im Senat beschlossene Maßnahme fließen jährlich zusätzlich 60 Milliarden Dollar in die Kasse des Washingtoner Finanzministeriums. Das ist mickrig angesichts von Jahresdefiziten seit 2009 in Höhe von jeweils über eine Billion Dollar. Auch für 2013 prognostiziert das Weiße Haus eine Unterdeckung von 901 Milliarden Dollar.

Noch gravierender als die zu geringen Steuereinnahmen ist das Problem der zu hohen Staatsausgaben. Sie betrugen 2009 etwa 25 und 2012 über 24 Prozent des BIPs und übertrafen damit das Niveau aller Jahre seit 1946. Unter Präsident Bill Clinton gab es sogar, begünstigt durch den Internet-Boom, Etatüberschüsse. Aber etwa seit Beginn des 21. Jahrhunderts galoppieren die Ausgaben den Staatseinnahmen davon.

Derartige Streitfragen wurden nun lediglich um einige Wochen vertagt. Das Tauziehen geht ohne Atempause weiter, weil die USA mit Jahresbeginn an ihre Schuldenobergrenze von 16,4 Billionen Dollar gestoßen sind. Allenfalls bis März dürfte sich die faktische Zahlungsunfähigkeit durch interne Umschichtungen übertünchen lassen. Doch sehr bald müssen Senat und Repräsentantenhaus einem höheren Schuldenlimit zustimmen, damit die USA ihre in- wie ausländischen Zahlungsverpflichtungen erfüllen können.

Notpflaster im Sozialbudget

Ebenfalls weiter auf der Liste ungelöster Probleme stehen eine Pensionsreform sowie der Umbau von Medicare, der Gesundheitsversorgung für Ältere. Der Sozialetat verschlingt inzwischen doppelt so viel Geld wie die Landesverteidigung. Und während die Aufwendungen für das Pentagon immerhin sinken, steigen die Sozialkosten seit 50 Jahren ungebremst an. Als Notpflaster beschloss der Senat lediglich eine Kürzung der Medicare-Zahlungen an Ärzte um 27 Prozent. Zu den sonstigen Punkten, auf die sich der Senat einigte, gehört eine Verlängerung der Arbeitslosenhilfe bis zum Jahresende. Sie geht derzeit an zwei Millionen Arbeitslose.

Das mühsame Ringen der Parteien im Kongress bestätigt düstere Voraussagen. Offenkundig ist die polarisierte US-Politik nicht in der Lage ist, das gravierende Problem der US-Verschuldung anzugehen. Wenn sich dies nicht ändert, wäre Obama, dessen zweite Amtszeit mit der Inauguration am 20. Jänner beginnt, für vier zähe Jahre ein „Lame Duck“ und unfähig zu jeder politischen Gestaltung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2013)

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