Weißrussland: Zwangsarbeit mitten in Europa

Alexander Lukaschenko
Alexander Lukaschenko(c) AP (NIKOLAI PETROV)
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Holz- und Bauarbeiter dürfen nicht selbst entscheiden, wo sie arbeiten. Um den Exodus nach Russland zu stoppen, setzt Minsk auch auf Zwangsarbeit.

Minsk/Wien/Ap/Auer. Leere Regale, Inflationsraten bis zu hundert Prozent, die Internetverbindungen ins Ausland gekappt, der weißrussische Rubel am Boden. Meldungen wie diese dokumentierten in den vergangenen Monaten den Verfall im Weißrussland unter Alexander Lukaschenko, der das Land mit seiner totalitären Kommandowirtschaft an den Rande des Bankrotts geführt hat. Kein Wunder, dass jedes Jahr hunderttausende Weißrussen versuchen, dem Regime zu entkommen. Ein gutes Zehntel der zehn Millionen Einwohner arbeitet schon im Ausland. Die meisten in Russland. Doch Europas letzter Diktator hat auch auf den Massenexodus seiner Bevölkerung eine Antwort parat: Zwangsarbeit.

Wer geht, muss bezahlen

Vor wenigen Wochen erließ der 58-jährige Machthaber ein Dekret, das vielen Menschen im Land die Freiheit nimmt zu entscheiden, wo sie arbeiten wollen. Direkt betroffen sind vorerst 20.000 Arbeiter in der strategisch wichtigen Holzindustrie sowie jene 3000 Bauarbeiter, die mit der Sanierung der neun Holzfabriken beauftragt sind.

Eine Klausel in ihren neuen Arbeitsverträgen verpflichtet sie, alle Gehälter seit Unterzeichnung des Vertrags zurückzuzahlen, falls sie kündigen. Um an das Geld zu kommen, ziehen die Behörden den Lohn direkt bei den neuen Arbeitgebern ein. Finden die Arbeiter nicht sofort einen neuen Job, müssen sie in ihre alten Fabriken zurückkehren und die Strafe trotzdem bezahlen. Einer der Betroffenen ist Wladimir Dodonow. Der 37-jährige Holzarbeiter in Borisov verdient umgerechnet 105 Euro im Monat. In Russland ist gleiche Arbeit um ein Vielfaches besser bezahlt. „Wie kann man mit so einem Gehalt überleben?“, sagt Dodonow. „Natürlich denke ich daran, nach Russland zu gehen, bevor sie mich zu einem Sklaven machen.“ Sein Werk, knapp 70 Kilometer östlich der Hauptstadt Minsk, mutet von außen an wie ein Gefängnis. Hinter den mit Stacheldraht gesäumten Mauern des Werks hat Lukaschenko den Chefs der Holzfirmen, die unter dem Exodus der Arbeiter leiden, versprochen: „Vergesst nicht, ohne eure Erlaubnis können sie nicht gehen.“ Seit dem Amtsantritt von Lukaschenko im Jahr 1994 ist die Holzindustrie wie fast alle Branchen des Landes zu hundert Prozent in staatlicher Hand.

Milliarden aus Moskau nach Minsk

„Das ist Leibeigenschaft“, wettert der weißrussische Gewerkschaftler Alexander Jaroschuk. Der Minsker Analyst Alexander Klaskovsky spricht von „Sklaverei mitten im Europa des 21.Jahrhunderts“. Und er befürchtet Schlimmeres. Die Beschränkungen in der Holzindustrie sieht er als ein „riskantes Experiment“, das Lukaschenko schon bald „auch auf andere Branchen ausweiten“ könnte.

Das begehrteste Ziel der Arbeitsmigranten ist Russland. In der Hoffnung auf bessere Löhne suchen rund 84Prozent aller Auswanderer hier nach Arbeit. Grenzkontrollen gibt es zwischen den Ländern, die eine Zollunion eint, kaum. Und auch wenn Lukaschenko den Weißrussen den Gang nach Russland verbieten will, sind die Beziehungen zwischen Moskau und Minsk nicht schlecht. Neben China und dem Iran ist es vor allem Russland, das den Diktator im Bruderstaat mit billiger Energie und Milliardenzahlungen im Sattel hält. Die Frage ist, wie lange noch. Denn auch Russland gibt nicht mehr so gerne wie früher. Und: „Die sowjetartige Wirtschaft hat ihre Ressourcen erschöpft“, sagt Yaroslav Romanchuk vom Mises Institut in Minsk. Lukaschenko bleibe nicht viel mehr übrig, als ständig „neue Abnormalitäten zu erfinden“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2013)

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