Wer steckt hinter den Pariser Kurdenmorden?

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Wütende kurdische Demonstranten machen die Türkei für den Mord an drei PKK-Aktivistinnen in Paris am Mittwochabend verantwortlich. Doch möglich erscheint auch, dass in der PKK intern abgerechnet wurde.

Die Ermordung dreier kurdischer Aktivistinnen in Paris am Mittwochabend gefährdet die gerade erst begonnenen Friedensverhandlungen zwischen dem türkischen Staat und den Kurdenrebellen. Anhänger der Rebellen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK schworen am Donnerstag Rache. Die Hoffnungen auf Frieden nach fast 30 Jahren des Konflikts im Osten der Türkei haben jedenfalls einen schweren Dämpfer erhalten.

Bei den Opfern handelte es sich um die PKK-Mitgründerin Sakine Cansiz (54), die Leiterin des Kurdischen Informationszentrums in Partis, Fidan Dogan (40), und die kurdische Jugendaktivistin Leyla Söylemez (32). Sie waren in den Räumen des Kurdischen Informationszentrums von bisher Unbekannten erschossen worden, laut Polizei geschah das irgendwann am Mittwochnachmittag (siehe Artikel unten).

Sabotage der Kurdengespräche

Wer steckt hinter den Morden? Diese Frage löste schon wenige Stunden nach der Bluttat wilde Spekulationen aus. Vor dem kurdischen Zentrum nahe des Nordbahnhofs versammelten sich am Donnerstag mehrere tausend in Frankreich lebende Kurden und forderten „Rache“ an der Türkei, wie die PKK-nahe Nachrichtenagentur „ANF“ meldete. Zübeyir Aydar, ein prominenter PKK-Vertreter in Westeuropa, nannte „Kräfte im türkischen Staatsapparat“ als mögliche Täter. Die Morde seien gegen die derzeit laufenden Verhandlungen zwischen Ankara und dem seit Jahren inhaftierten PKK-Chef Abullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali gerichtet.

Gültan Kisanak, die Ko-Vorsitzende der in der Türkei legal operierenden Kurdenpartei BDP, sprach von einem „schwerwiegenden politischen Verbrechen“. Der Dreifachmord sei eine „Falle“, um eine Lösung des Kurdenkonflikts zu verhindern. Kisanak bezeichnete die PKK-Mitgründerin Cansiz als „Rosa Luxemburg der kurdischen Frauen“. Der BDP-Politiker Sirri Sakik sagte, die drei Kurdinnen seien von „Kugeln gegen den Frieden“ getötet worden.

Schwierige Ermittlungen

In Ankara lenkte die AK-Partei von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan den Blick hingegen auf die Möglichkeit einer internen Fehde innerhalb der PKK. Ähnliche Morde innerhalb der Rebellengruppe habe es schon häufiger gegeben, sagte AKP-Sprecher Hüseyin Celik. Es bestehe aber auch die Möglichkeit, dass die Tat ein Sabotageakt gegen die Friedensgespräche gewesen sei. BDP-Chefin Kisanak warf Celik vor, mit dem Hinweis auf eine PKK-interne Fehde die tatsächlichen Mörder schützen zu wollen.

Ministerpräsident Erdoğan gab sich besonnen und rief dazu auf, vorerst einmal die Ermittlungen abzuwarten. Es könne sich um eine blutige Abrechnung innerhalb der PKK handeln, sagte er während einer Afrika-Reise. Eine „versuchte Provokation“ gegen seine Kurdenpolitik sei jedoch auch nicht auszuschließen.

Wer die drei Frauen wirklich ermorden ließ, wird möglicherweise nur schwer zu ermitteln sein – beide Seiten haben in den langen Jahren des Kurdenkonflikts schon zur Gewalt gegriffen, um Vermittlungsbemühungen zu torpedieren. Kendal Nezan, der Leiter des angesehenen „Kurdischen Instituts“, einer anderen kurdischen Einrichtung in Paris, sagte nach einem Bericht der türkischen Zeitung „Hürriyet“, Sabotageakte seien sowohl von türkischen als auch von kurdischen Hardlinern denkbar.

Öcalan wäre zu Lösung bereit

Befürworter der Friedensverhandlungen in der Türkei zeigten sich deshalb besorgt. Es dürfe nicht zugelassen werde, dass Gewaltaktionen wie die Morde von Paris den Friedensgesprächen Schaden zufügten, sagte Tahir Elci, der Vorsitzende der Anwaltskammer in Diyarbakir. Mehr als 200 Vereine und Verbände in der Stadt bekundeten am Donnerstag ihre Unterstützung für die Verhandlungen Öcalans mit der türkischen Regierung.

Diese Verhandlungen bieten die beste Gelegenheit seit Jahren, die seit 1984 anhaltende Gewalt im Kurdengebiet zu beenden. Der Kurdenpolitiker Ahmet Türk, der Öcalan vergangene Woche auf Imrali besuchen konnte, sagte im türkischen Fernsehen, der inhaftierte PKK-Chef sei zu einer Lösung im Rahmen der Demokratie bereit. Öcalan sei der Schlüssel in den Friedensbemühungen, so Türk mit Blick auf das trotz 14 Jahren Haft ungebrochene Ansehen, das der PKK-Gründer bei vielen Kurden genießt.

Wie eine Lösung konkret aussehen könnte, ist nach Presseberichten und Aussagen von Regierungspolitikern in Umrissen erkennbar. Nach Erdoğans Worten ist der Abzug der PKK-Kämpfer aus der Türkei eine Grundvoraussetzung. Im Gegenzug sollen die Kurden mehr Rechte erhalten, etwa beim Schulunterricht in kurdischer Sprache. Mangelndes gegenseitiges Vertrauen erschwert die Verhandlungen jedoch. So ist umstritten, ob ein Gewaltverzicht der PKK am Anfang oder am Ende des Friedensprozesses stehen soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2013)

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