Kurdische Kämpferinnen: „Aus Rache zur PKK“

Kurdische Kämpferinnen
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In der PKK sind auffällig viele Frauen vertreten: Junge Kurdinnen schließen sich der Organisation an, um der Diskriminierung daheim zu entfliehen. Doch von Gleichberechtigung kann unter den Rebellen nicht die Rede sein.

Ankara. „Hätte mein Vater doch nur einmal gesagt: ,Meine Tochter, ich habe dich lieb.‘ Aber wir waren wie zwei Fremde. Und diese Leere hat mich in die Berge getrieben.“ So erklärte eine ehemalige PKK-Kämpferin dem türkischen Autor Necati Alkan ihre Entscheidung, sich den Rebellen der kurdischen Arbeiterpartei anzuschließen. Alkan hat in seinem Buch „Symbole, Akteure und Frauen in der PKK“ zahlreiche solche Erfahrungsberichte gesammelt.

Frauen spielen in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) eine zentrale Rolle: Sakine Cansiz, eine der drei Aktivistinnen, die am Donnerstag in Paris ermordet worden war, besetzte eine Top-Position bei den Rebellen: Sie hatte 1978 die PKK mitbegründet und war langjährige Anführerin der Fraueneinheit. Zeitweise soll ein Drittel der 5000 PKK-Kämpfer aus Frauen bestanden haben. Die Rebellen präsentieren sich selbst als Frauenbefreiungsorganisation.

Frauendiskriminierung in Dörfern

Ein Grund dafür, warum sich junge Kurdinnen den Rebellen anschließen, ist die Frauendiskriminierung in kurdischen Dörfern und Städten. Viele kurdische Mädchen werden nach wie vor von ihren Eltern bei der Schulbildung gegenüber den Söhnen benachteiligt, sie werden früh verheiratet, sind oft Opfer von Zwangsehen. Als Teenager dürfen sie Männer nicht einmal anschauen, da dies die „Familienehre“ verletzen würde.

Laut Alkan ist für viele Frauen das Leben in der Rebellengruppe eine Möglichkeit, der Rückständigkeit und der Chancenlosigkeit der Kurdengesellschaft zu entfliehen. Dazu kommt die Wut auf die türkischen Sicherheitskräfte, denen vor allem in den 1990er-Jahren sexuelle Misshandlungen von Kurdinnen vorgeworfen wurde. Laut Alkan sind vier von fünf weiblichen PKK-Mitgliedern unter 25 Jahre alt, wenn sie sich der Organisation anschließen. Nach Aussagen von PKK-Aussteigerinnen und Experten kann von einem freien Leben bei den Rebellen aber keine Rede sein. Die Frauen werden militärisch ausgebildet und müssen oft an gefährlichen Missionen teilnehmen. Die Kurdenpartei setzt Frauen häufiger als Selbstmordattentäterinnen ein. Erst vor zwei Monaten meldete die türkische Armee, bei einem Gefecht in der südostanatolischen Provinz Bingöl seien vier PKK-Mitglieder erschossen worden. Auch die deutsche Linksaktivistin Andrea Wolf, die sich in den 1990er-Jahren der PKK angeschlossen hatte, bezahlte mit ihrem Leben: Sie starb 1998 unter bis heute nicht völlig geklärten Umständen.

Beziehungen zwischen Kämpfer und Kämpferinnen sind in der PKK streng verboten, nicht nur aus Gründen der militärischen Disziplin, sondern auch mit Blick auf den Ruf der Rebellen bei der mehrheitlich konservativen kurdischen Bevölkerung. Ohne die strikte Trennung der Geschlechter würde die PKK bei der Anwerbung neuer Kämpfer in vielen Familien auf Widerstand stoßen, schreibt Aliza Marcus in ihrem Buch über die PKK, „Blood and Belief“.

Türkische Medien berichteten mehrfach über die Hinrichtung von PKK-Kämpferinnen, denen eine Liebesbeziehung mit einem Mann vorgeworfen wurde. Das Leben der Männer werde in solchen Fällen angeblich häufiger geschont als das der Frauen.

Ohnehin kann von einer Gleichberechtigung innerhalb der PKK keine Rede sein. Die Führungsebene der Rebellen besteht ausschließlich aus Männern; PKK-Chef Abdullah Öcalan soll sich vor seiner Festnahme durch die Türkei 1999 mit einem regelrechten Harem umgeben haben. Öcalan habe sich immer nur die attraktivsten und gebildetsten PKK-Frauen ausgesucht, berichteten Aussteiger. Zwar sind Berichte dieser Art wegen ihres Propagandawertes mit Vorsicht zu genießen. Fest steht aber, dass Ankara durch eine Verbesserung der Lage der Frauen im Kurdengebiet die Attraktivität der PKK für die Kurdinnen vermindern könnte.

Auch Maßnahmen gegen die alltäglich gewordene brutale Behandlung würden ausreichen. So sagte eine Exkämpferin namens Rojin in Alkans Buch, vor ihrem PKK-Betritt sei sie von der Polizei festgenommen worden. Die Beamten misshandelten sie so schwer, „dass meine Mutter mich nicht wiedererkannte. Aus Rache ging ich zur PKK.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2013)

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