Deutschland: Mit Dudelsäcken in die Wahlschlacht

(c) REUTERS (MORRIS MAC MATZEN)
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Am Sonntag wählt Niedersachsen. Die Wahl wird zum Testlauf für die Bundestagswahl im September. Ein Schotte soll Schwarz-Gelb retten. Rot-Grün aber will den Startschuss für einen Machtwechsel in Berlin abfeuern.

Berlin. Wo David McAllister auftritt, röhren ihm Dudelsack-Klänge voraus. So auch in Stadthagen, in der übervollen Festhalle der niedersächsischen Kreisstadt. An der Seite der Kanzlerin winkt „Merkels Mac“, der Ministerpräsident mit schottischen Wurzeln, den jubelnden CDU-Anhängern zu. „I'm a Mac“ steht auch auf blauen Kartons, die schwarze Kernwähler schwenken. Ein frecher Song heizt die Stimmung auf: „Bist du eine linke Sprotte, leg dich niemals mit uns an, unser Häuptling ist ein Schotte, und wir sind ein starker Clan.“ Wahlkampf als angelsächsische Show, im Bauernland zwischen Harz und Heide. Das soll Mut machen. Es geht um viel, was auch internationale Medien anlockt. „Welcome to Lower Saxony“, ruft der Clanchef ihnen zu. Und Mutti Merkel lächelt tapfer.

In der heißen Phase eines kurzen Wahlkampfs blickt die Welt auf das friedlich-satte Land im deutschen Norden. Weil das politische Hannover en miniature die Lage in Berlin spiegelt, wird der kommende Sonntag zum Testlauf für die Bundestagswahl im September. Wie sich die Bilder gleichen: ein beliebter Landesvater, der jede Direktwahl hoch gewinnen würde, aber für seine CDU keine absolute Mehrheit schafft. Ein geschwächter Wunschpartner FDP, der um den Wiedereinzug in den Landtag zittert. Und Bürger, die nichts weniger wollen als eine Neuauflage von Schwarz-Gelb. Zweitstimmen als Überlebenshilfe für die Liberalen lehnt McAllister ab, er setzt auf eigene Stärke. Christian Wulffs politischer Ziehsohn hat den Schatten seines Vorgängers abgeschüttelt. Die stolzen Niedersachsen sind des Themas müde, auch weil es ihnen peinlich ist.

Linke Mehrheit im Bundesrat?

Auf der anderen Seite der Front steht ein rot-grüner Block, der mit Inhalten statt Personen punktet. Keine Studiengebühren, mehr Kita-Plätze – solche Themen verschaffen dem freundlich-farblosen SPD-Spitzenkandidaten, Stephan Weil, laut letzten Umfragen eine etwas bessere Chance, Ministerpräsident zu werden. Aber der Vorsprung ist mit ein bis zwei Prozentpunkten dünn geworden.

Ein Machtwechsel in Niedersachsen ist die große Hoffnung der SPD. Er soll Fehlstart und Fettnäpfchen ihres Spitzenkandidaten, Peer Steinbrück, vergessen machen. Bei Regionalwahlen haben Rot und Grün zuletzt fast alles geholt, was zu holen war. Fällt auch Niedersachsen an sie, bedeutet das die absolute Mehrheit im Bundesrat, wo sie jedes Gesetzesvorhaben vorerst blockieren können. Eine paralysierte Regierung macht sich im Wahlkampf nicht gut. Ein „Wind of Change“ läge plötzlich in der Luft und könnte sogar Merkel vom Thron fegen.

Nicht um viel, sondern um alles geht es für Philipp Rösler. Wenn die FDP auch in seiner Heimat scheitert, gibt der führungsschwache Parteichef auf. Die Liberalen liegen bei vier bis fünf Prozent. Aber auch wenn sie nur knapp über die Hürde kommen, müsste wohl Fraktionschef Brüderle übernehmen. Der 67-Jährige wäre kein Signal für einen Neustart, könnte aber vorerst die Stammklientel kalmieren.

Mit Bangen nach Hannover blickt auch die Linkspartei. Nach Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein dürfte sie auch aus diesem Landtag fliegen. Der letzte Beweis, dass sie im alten Westen keine Chance hat? Im letzten Moment wirft sich Sarah Wagenknecht in die Bresche. Die antikapitalistische Galionsfigur soll die Partei über die Hürde hieven und ein rot-rot-grünes Bündnis vermitteln. SPD-Kandidat Weil hat es nicht explizit ausgeschlossen.

Und die Piraten? Bei den vier letzten Regionalwahlen haben die Neulinge eindrucksvoll bewiesen, wie sie alten Frust und neue Lust an der Politik mobilisieren können. In Niedersachsen ist davon nichts mehr zu spüren: Sie dümpeln in Umfragen bei drei Prozent.

Kuscheln statt intrigieren

Ganz was Neues, das will hier fast niemand. Denn das Land steht gut da, von VW in Wolfsburg bis zu den großen Viehzüchtern an der holländischen Grenze. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig. In der Politik herrscht eine fast heimelige Atmosphäre, die nur von der Wulff-Affäre jäh und kurz unterbrochen wurde. Sogar ein TV-Duell zwischen McAllister und Weil wirkt wie ein Beruhigungsmittel.

Intrigen und große Politik überlässt man den Kollegen in Berlin. Dass Rösler und Wulff ihren Polit-Brutkasten verlassen haben, wurde ihnen zum Verhängnis. Also bleiben die Niedersachsen nun lieber unter sich, „sturmfest und erdverwachsen“. Und sind froh, wenn das Scheinwerferlicht über „Lower Saxony“ bald wieder erlischt.

Der Nordsee-Schotte

David McAllister ist erst seit zweieinhalb Jahren Ministerpräsident von Niedersachsen, gilt aber schon als die große Zukunftshoffnung der CDU. Er ist bodenständig, aber weltoffen, ein Christdemokrat, „aber kein Konservativer“. Diese seltene Mischung erklärt sich aus der Biografie des Halbschotten, der am Samstag 42 wurde. Der Sohn eines britischen Soldaten und einer deutschen Mutter wuchs in Berlin zweisprachig auf, schlug seine Wurzeln aber in einem kleinen Kurort nahe der Nordseeküste.
Als Landeschef arbeitete sich der Wulff-Nachfolger rastlos ein, „jeden Abend bis Mitternacht“, ängstlich bemüht, keine Fehler zu machen. Aus der Bundespolitik hält sich Merkels treuer Vasall heraus. Große Konflikte blieben dem Sonnyboy bisher erspart. Das könnte sich bald ändern: Wenn McAllister gut abschneidet, aber mit dem Partner FDP auch sein Amt verliert, warten wohl höhere Aufgaben in Berlin auf ihn.

Der nette Unbekannte

Stephan Weil hatte lange ein Problem: Er war schon SPD-Spitzenkandidat in Niedersachsen, aber vielen noch immer unbekannt. Also machte sich der Bürgermeister von Hannover auf die roten Socken, fuhr mit einem roten Volkswagen 35.000 Kilometer herum, joggte im roten T-Shirt (Aufdruck: „Für den Wechsel“) und drückte verdutzten Bürgern rote Rosen in die Hand.
Stets freundlich, aber auch ein wenig spröde: So lernten die Niedersachsen den Mann kennen, der sie vielleicht bald regieren wird. Der in Hamburg geborene Jurist lebt seit seiner Kindheit in Hannover und wachte lange als Kämmerer über die Finanzen der Stadt. Neben der perfekten Choreografie seines Gegners wirkt Weils Kampagne handgestrickt, aber auch ehrlicher. Ruhig verweist er auf die Umfragen, die Rot-Grün vorne sehen. Was soll er sich da aufgeregt produzieren? Wer dabei nicht einschläft, wird ihn mögen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2013)

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