Mali-Krieg: al-Qaida erweitert Kampfzone

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MaliKrieg alQaida erweitert Kampfzone(c) AP (Jerome Delay)
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Die Geiselnahme in einer Gasanlage artet in ein Blutbad aus: Ein Luftangriff der algerischen Armee auf die islamistischen Entführer soll 30 Geiseln das Leben gekostet haben. Das Schicksal eines Österreichers ist noch unklar.

Kairo/Algier/Wien. Wer bei der Geiselnahme vom Mittwoch auf dem Gasfeld „In Amenas" nahe der algerisch-libyschen Grenze von Algeriens Militär taktisches Gespür und vorsichtiges Vorgehen erwartet hatte, wurde am Donnerstag bitter enttäuscht: Bei ihrem Versuch, die rund 41 ausländischen und zeitweise mehr als 600 einheimischen Geiseln zu befreien, stieß die Armee direkt mit Infanterieverbänden vor, setzte Kampfhubschrauber ein und löste damit Chaos aus: Insgesamt 30 Geiseln - Briten, Franzosen, Japaner - sollen bei dem Blutbad getötet worden sein.

Die Geiselnehmer sollen nach jüngsten Regierungsangaben aus Libyen stammen. "Nach allen uns vorliegenden Informationen" sei "die Terroristengruppe" aus dem Nachbarland über die Grenze gekommen, zitierte die algerische Tageszeitung "Echorouk" am späten Donnerstag in ihrer Internetausgabe Innenminister Dahou Ould Kablia. Noch am Mittwoch hatte der Minister gesagt, die Geiselnehmer kämen aus der Umgebung des Gasfelds. Damit verärgerte er die Behörden der betroffenen Region, die an Libyen grenzt.

Auch elf Islamisten getötet?

Ein erster Entsatzversuch in der Nacht auf Donnerstag war von den vermutlich 30 bis 50 Geiselnehmern abgewehrt worden. Was nach dem Beschuss aus der Luft gegen Mittag und danach genau passierte, blieb bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe nach widersprüchlichen Informationen verschiedener Quellen unklar.
Am späten Donnerstagabend hieß es dann allerdings nach Angaben von algerischen Sicherheitskreisen, beim Befreiungsversuch der algerischen Armee seien 30 Geiseln, die in der Hand islamistischer Terroristen waren, ums Leben gekommen. Dabei handle es sich um acht Algerier, zwei Japaner, zwei Briten und einen Franzosen sowie Angehörige weiterer Nationen. Außerdem seien elf Islamisten getötet worden, darunter deren Anführer.

Frankreichs Staatspräsident François Hollande konnte die Lage nur als „konfus" bezeichnen, betonte aber, dass der Angriff der Islamisten, den diese eine Reaktion auf die französisch geführte Intervention gegen Islamisten in Mali am Wochenende nannten, Frankreichs Vorgehen nur rechtfertige.

"Christen und Ungläubige im Visier"

Ein Algerier konnte per Satellitentelefon vor Ort berichten, dass die Islamisten die meisten einheimischen Geiseln freigelassen hätten und viele davon auch fliehen konnten; den Angreifern sei es nur um „Christen und Ungläubige" gegangen. Von diesen soll es 41 in der Anlage gegeben haben, doch am Abend hieß es, dass 25 die Flucht gelungen sei und drei bis fünf von Militär befreit worden seien. Das Schicksal eines 36-jährigen Niederösterreichers, der auf dem Gelände der Gasanlage war und sich möglicherweise verstecken konnte, stand vorerst nicht fest.
Der Anführer der Angreifer soll ein gewisser Mokhtar Bel-Mokhtar gewesen sein, der die Beinamen „Lawar" („der Einäugige") und „Marlboro-Mann" trägt (wegen seiner früheren Schmuggeltätigkeit). Er soll früher in Afghanistan gegen die Sowjets gekämpft haben und kürzlich in der Sahara eine rund 200 bis 300 Mann starke eigene Islamistengruppe namens „Bataillon des Blutes" gegründet haben.

Die Regierungen Großbritanniens und Japans kritisierten öffentlich das rüde Vorgehen des algerischen Militärs, davon hätte man im Vorfeld gern erfahren wollen, zudem die Islamisten Abzug gegen freies Geleit versprochen hätten. Am Nachmittag sollen US-Drohnen den Schauplatz überflogen haben.

Mit der Geiselnahme hat die „al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQIM) den Feldzug in Mali in ein globales Problem verwandelt. Denn Ziel der Terroristen war es, das Ende der fremden Intervention zu erzwingen. Die Befürchtung des tunesischen Präsidenten Moncef Marzouki, das „Hornissennest Mali" werde Nord und Westafrika destabilisieren, hat sich damit bewahrheitet.

„Eine Handvoll Österreicher"

Bald könnten weitere Attentate folgen, die sich gezielt gegen Öl- oder Gasfelder oder Touristen richten - was auch andere Staaten militärisch in den Konflikt ziehen würde. Seit dem Arabischen Frühling haben sich in allen Ländern Nordafrikas radikale Gruppen etabliert, bestens bewaffnet aus den Arsenalen des libyschen Bürgerkriegs und zu allem entschlossen.

Vor drei Wochen schloss Libyen alle Grenzübergänge zu Algerien, Niger, dem Tschad und Sudan und erklärte den Süden des Landes zum Sperrgebiet. An den Realitäten vor Ort ändert das wenig, denn die langen Grenzen im Wüstengebiet sind unkontrollierbar. Im Hauptquartier der OMV, die in Libyen eine Niederlassung hat, gibt man sich betont sachlich. Man beschäftige „eine Handvoll" Österreicher vor Ort, die Sicherheitsmaßnahmen seien „extrem hoch".

Nach Schätzungen des österreichischen Handelsdelegierten David Bachmann halten sich derzeit 40 bis 50 Österreicher aus beruflichen Gründen in Libyen auf - und Sorgen macht dem Wirtschaftsdiplomaten nicht primär die Sicherheit der OMV-Mitarbeiter, sondern vor allem jene Vertreter des österreichischen Mittelstands, die kein Geld für adäquate Sicherheitsmaßnahmen haben.

Das Rückzugsgebiet der „al-Qaida im Islamischen Maghreb" ist nun Algerien - und da vor allem die schwer zugänglichen Gebirgsregionen der Kabylei. Die Zahl der islamistischen Kämpfer wird dort auf einige hundert geschätzt. In den letzten beiden Jahren zielten ihre Attentate ausschließlich auf Angehörige der Armee oder Polizisten an Straßensperren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2013)

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