Ein Zwettler entkam den al-Qaida-Terroristen. Er hatte sich auf dem weitläufigen Gelände der Gasanlage In Amenas vor ihnen versteckt. Noch immer befinden sich Menschen in Gefangenschaft.
ALGIER/Wien/AG./CU/JST. Am Freitag um die Mittagszeit kam der erlösende Anruf aus Algerien. Christoph Z. war am anderen Ende der Leitung. Der 36-jährige Niederösterreicher hatte es geschafft, er war dem islamistischen „Blutsbataillon" entkommen. Zwei Tage lang hatte er sich vor den Geiselnehmern in der weitläufigen Gasförderanlage bei In Amenas versteckt.
Irgendwann inmitten des blutigen Chaos und der Schusswechsel gelang dem Zwettler die Flucht. Sein erstes Telefonat in Freiheit galt seiner Familie, dann informierte er die österreichische Botschaft in Algier. Christoph Z. hatte nur noch sein Arbeitsgewand, erklärte sein Vater gegenüber DiePresse.com. Auch die Reisedokumente hatte er verloren, er brauchte einen Notpass. Die britische BP, eine der Betreiberfirmen des Gasfeldes, sollte ihn nach London-Gatwick ausfliegen.
Hunderte Geiseln entkamen
48 Stunden mussten die Eltern von Christoph Z. um ihren Sohnemann bangen. Dann kam der Anruf, auf den die Familie verzweifelt gewartet hatte. "Er sagte, dass er dort weg ist und in der Botschaft untergebracht wird. Man kann sich vorstellen, was das für eine Erleichterung war. Für mich ist das Wichtigste, dass er lebt", schildert der Vater von Christoph Z.
Bereits am Freitagvormittag sickerte die gute Nachricht an die Öffentlichkeit, wonach der Absolvent der Montanunversität in Leoben in Sicherheit ist. Verbreitet wurde sie anfangs von Nachrichtendiensten. Zunächst fehlte die Bestätigung, dann versicherte der algerische Außenminister seinem österreichischen Amtskollegen Michael Spindelegger: Christoph Z. sei frei. Nur wenige Stunden vorher hatte der Vizekanzler seinem Ärger über das Vorgehen der algerischen Behörden Luft gemacht. „Ich erwarte, dass die algerischen Sicherheitskräfte alles unterlassen, was die Sicherheit der Geiseln gefährdet", sagte Spindelegger.
Ohne die Regierungen der festgehaltenen Ausländer zu informieren, hatte die algerische Armee am Vortag eine massive Befreiungsaktion gestartet. Der britische Premier David Cameron schäumte. Zum Zeitpunkt des Angriffs hielten sich mehr als 30 seiner Landsleute auf dem Gasfeld auf. Die Informationslage blieb auch am Freitag verworren. Niemand konnte exakt angeben, wie viele Geiseln sich noch in der Gewalt der al-Qaida-Terroristen befanden und wie viele getötet worden waren.
Die algerischen Behörden versuchten, die Nachrichten zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Die Armee habe mit ihrem entschlossenen Eingreifen hunderten Menschen das Leben gerettet, verbreitete die Nachrichtenagentur APS. 650 Geiseln seien befreit worden, hauptsächlich algerische, aber auch mehr als die Hälfte der 132 ausländischen Gefangenen.
Das Gasfeld bei In Amenas wird von einem Konsortium betrieben, bestehend aus BP, dem norwegischen Konzern Statoil und der algerischen Sonatrach. Als Subunternehmer war auch eine japanische Firma beteiligt. Dementsprechend international zusammengesetzt waren auch die Mitarbeiterteams. Zu den Angestellten zählten nicht nur Briten, Norweger und Japaner, sondern auch Franzosen, Amerikaner, Iren und andere Staatsbürger.
Von langer Hand geplant
Die Geiselnahme war von langer Hand geplant. Laut einem al-Qaida-Sprecher war das Kommando seit zwei Monaten einsatzbereit. Es sollte zuschlagen, sobald Frankreich in Mali interveniert. Und so geschah es auch. Die Geiselnehmer forderten den Abzug der französischen Armee aus dem westafrikanischen Staat. Der Terrorgruppe gehörten Augenzeugenberichten zufolge ungefähr 70 Männer aus Mali, Ägypten, Algerien, Niger, Mauretanien, Kanada und Tunesien an. Aus einer Quelle hieß es, sie seien aus Libyen eingesickert. Die Geiselnehmer verfügten offensichtlich über genaue Kenntnisse der Gasanlage. Angeblich trugen sie Militäruniformen.
Als Algeriens Armee Donnerstag mit Hubschraubern attackierte, brach Panik aus. Laut „Le Monde" konnten in dem Durcheinander Hunderte entkommen. Für Christoph Z. ging das Geiseldrama zu Ende. Nach wie vor herrscht aber Unklarheit über das Schicksal der übrigen Gefangenen. Am späten Freitagabend berichtete die mauretanische Nachrichtenagentur ANI unter Berufung auf das Umfeld des islamistischen Kommando, dass die Kidnapper noch sieben ausländische Geiseln festhalten. Es handle sich um drei Belgier, zwei US-Bürger, einen Japaner und einen Briten.
Zuvor war aus lokalen Kreisen zu vernehmen gewesen, die algerische Armee habe mittlerweile 100 ausländische Geiseln befreit. Über das Schicksal 32 weiterer wisse man jedoch derzeit nichts. In algerischen Sicherheitskreisen hieß es, 30 Geiseln, darunter mindestens sieben Ausländer, sowie mindestens 18 Kidnapper seien am Donnerstag getötet worden, als die Armee ihren gewaltsamen Befreiungsversuch gestartet hatte. Mehr als 600 algerische Arbeiter überlebten.