Obama II: Die Wandlung des Weltverbesserers

Barack Obama
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Präsidentschaft. Für Barack Obama geht es ums Vermächtnis. Zwei Jahre bleiben für die Agenda, ehe die „Lame Duck“-Phase einsetzt.

Washington. Neuerdings gilt ihnen der Präsident als „King Obama“, der ihnen mit Feuereifer die Schießeisen wegnehmen will und die Verfassung höhnisch missachtet – das größte Sakrileg, dessen sich der oberste Repräsentant der ältesten und stolzesten Demokratie schuldig machen kann. Mit Schaum vorm Mund geifern rechte Talkshow-Moderatoren à la Sean Hannity oder Rush Limbaugh, und in deren Sog viele Republikaner bis hinein in die Mitte der Partei, gegen Barack Obama.

Gegenüber dem damaligen russischen Präsidenten Wladimir Medwedjew hatte Obama im Vorjahr in einem unbedachten Moment, bei eingeschaltetem Mikrofon, höhere Flexibilität in der Außenpolitik signalisiert. Doch die großen Schlachten, das haben die letzten Wochen seiner ersten Amtsperiode vorexerziert, werden auf dem Feld der Innen- und Wirtschaftspolitik geschlagen. Die Schuldendebatte wird dem US-Präsidenten auch in den kommenden Monaten wie ein Mühlstein um den Hals hängen, zunächst wenn das Land abermals ans gesetzliche Schuldenlimit stößt und danach das Gezänk um den Sparkurs neuerlich anhebt.

Obama mag noch so sehr an die politische und ökonomische Vernunft der Opposition appellieren oder an das Faktum des Wahlausgangs erinnern – die Republikaner, die sich dieser Tage zu einer Klausur im Kolonialstädtchen Williamsburg einfanden, haben sich gegen ihn verschworen. Wie hilflos John Boehner agiert, der eigentliche Oppositionsführer, stellte der Speaker des Repräsentantenhauses im Finanzpoker zum Jahresende zur Schau, als er nicht einmal eine Mehrheit seiner Fraktion für einen Kompromiss gewinnen konnte. Er verlor sein Gesicht.

Dass Obama, bestärkt von der öffentlichen Meinung, keine Zeit vergeuden wollte, demonstriert sein politischer Kraftakt in Sachen Waffenreform. Hatte er in der ersten Amtszeit bei Gesetzesvorhaben oft zu sehr gezögert, als er anderen beim Prestigeprojekt der Gesundheitsreform die Kleinarbeit und die Verhandlungen überließ, so riss er jetzt die Initiative an sich.

Seine Gegner haben ihm die politische Naivität des Weltverbesserers gründlich ausgetrieben, seine Order zur Schließung des Lagers Guantánamo scheiterte an der Realität. Er habe ein Gefühl bekommen, was machbar sei und was nicht, resümierte er die ersten vier Jahre in einem Interview mit „Time“ anlässlich seiner zweiten Wahl zur „Person des Jahres“. Steven Spielbergs Lincoln-Filmbiografie habe vorgeführt, dass Kuhhandel und herbe Praktiken zur Erreichung höchster Ideale zum politischen Geschäft gehören.

Permanenter Wahlkampf

Obama II wird sich von Obama I durch größere politische Cleverness unterscheiden. Er deutete den Strategie- und Perspektivenwechsel bereits an. Seine ursprüngliche Intention, Washington von innen heraus zu verwandeln, sei fehlgeschlagen, bekannte er. Stattdessen sucht er den Wandel von außen zu oktroyieren – durch permanenten Wahlkampf. Er zählt dabei vorerst auf die Demoskopie. Positive Zustimmungsraten von 52 Prozent für den Präsidenten stehen desaströsen Umfragewerten für den Kongress gegenüber.

Maximal zwei Jahre bleiben Obama für seine innenpolitische Agenda und seine Devise des „Smarter Government“. Denn nach den Kongresswahlen im November 2014 droht ihm das Schicksal der „Lame Duck“, die Phase relativer Machtlosigkeit, in der sich das Augenmerk schon auf den Kampf um seine Nachfolge konzentriert. In dieser kurzen Zeitspanne muss er sein Vermächtnis für die Geschichtsbücher definieren.

Danach kommt hauptsächlich die Außenpolitik als unangefochtenes Spielfeld infrage. Ein halbes Jahr vor Ende seiner Amtszeit setzte es sich Bill Clinton in den Sinn, die Erzrivalen Ehud Barak und Jassir Arafat auf dem Landsitz Camp David zu einem Nahost-Frieden zu vergattern, für den er selbst wohl den Friedensnobelpreis geerntet hätte. Er kapitulierte letztlich in einem redlichen Unterfangen, an das sich Obama trotz eilfertiger Rhetorik bis dato nie heranwagte.

Als eminentes Reformwerk für die zweite Amtsperiode kündigte Barack Obama die überfällige Immigrationsreform an, die den Status der rund elf Millionen illegaler Immigranten regeln soll. Es ist ein Versprechen, das er gegenüber den Latino-Wählern einlösen muss. Die Erfolgsaussichten sind durchaus positiv. Auch die Republikaner, allen voran Jeb Bush und Marco Rubio, haben die Notwendigkeit erkannt, stärker auf die begehrte Wählergruppe einzugehen.

Die Gefahr der Hybris

Auf dem gelben Papier seines Notizblocks skizzierte der Präsident Themen für die zweite Amtszeit – vom Klimawandel und der Energiepolitik über Bildungspolitik und Gefängnisreform bis hin zur Wahlreform. Zugleich weiß er aber, dass er sich auf einige wenige Akzente schwerpunktmäßig beschränken muss. Die Republikaner argwöhnen längst über einen Linksruck.

Die Gefahr, das Mandat in einer zweiten Amtsperiode überzustrapazieren, in der er nicht um eine Wiederwahl bangen muss, steckt ihm im Hinterkopf. Die Hybris der Macht verleitete Richard Nixon zum Watergate-Skandal samt unehrenhaftem Abgang aus dem Weißen Haus, Ronald Reagan verstrickte sich in der Iran-Contra-Affäre, Bill Clinton in der Lewinsky-Affäre und George W. Bush wuchs das Krisenmanagement während des Hurrikans Katrina und der Finanzkrise deutlich über den Kopf. Die Krisen hat Obama weitgehend bewältigt, die Misere scheint überstanden. Nach der Pflicht folgt für ihn nun die Kür.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2013)

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