Frankreich: Der lange Krieg in "Malistan"

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lange Krieg Malistan(c) REUTERS (ERIC GAILLARD)
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Den französischen Fremdenlegionären, die in Mali gegen islamistische Rebellen kämpfen, ist klar, dass der Einsatz nicht rasch vorbei sein wird. Denn die Gotteskrieger sind motiviert und bestens ausgerüstet.

Zwei Mörser zeigen Richtung Niger, auf dem gerade ein Fischer in seinem schmalen Holzboot beschaulich vorbeirudert. Am Ufer des bedeutendsten Flusses Westafrikas und der Lebensader Malis ist ein Posten der Fremdenlegion stationiert. Einer von vielen der französischen Armee, die in Markala die strategisch wichtige Stahlbrücke über den gut 500 Meter breiten Strom sichern sollen. Von hier führt die Verbindungsstraße in die 400 Kilometer entfernte Hauptstadt Bamako im Süden des Landes. 60 Kilometer weiter nördlich beginnt das Gebiet der islamistischen Rebellen von Ansar Dine, der Bewegung für Einheit und Jihad (MUJAO) sowie der „al-Qaida im islamischen Maghreb“ (AQIM). Es ist ein exterritoriales Gebiet, ohne jede staatliche Autorität und reicht bis an die 150 Kilometer entfernte Grenze Mauretaniens. Von hier starteten die Rebellen im Laufe der vergangenen Woche mehrere Angriffe auf Dörfer und Kleinstädte.

Es sind acht Soldaten, die auf ihren Feldbetten bei 30 Grad im Schatten in Biwakzelten liegen. Als die diensthabende Wache Schritte hört, die sich dem Lager nähern, springt sie abrupt auf, mit dem Gewehr im Anschlag. Die überwiegend jungen Männer sind weitaus freundlicher, als man es von Soldaten der berühmt-berüchtigten Fremdenlegion erwarten würde. „Wir sind hier und warten auf Befehle“, sagt einer von ihnen, der aus Sicherheitsgründen keinen Namen nennen will. „Vor den Islamisten haben wir keine Angst“, erklärt ein anderer, der außergewöhnlich muskelbepackte Oberarme hat und von der Côte d'Azur stammt. Man wisse, es sind religiöse Fanatiker und jederzeit bereit für ihre Sache zu sterben. „Aber über so etwas denken wir nicht nach. Wir machen wie immer unsere Arbeit.“ „Und diese Islamisten sollen nur kommen, sie sind herzlich willkommen“, ruft ein Dritter, der in Afghanistan gekämpft hat. „Wir werden sie töten.“ Schließlich sei man besser ausgerüstet, besser trainiert und könne mit Waffen besser umgehen.

Rasches Eingreifen. Ganz so simpel scheint es allerdings nicht zu sein, wie die einfachen Soldaten denken, die von ihrer Basis im Tschad nach Mali abberufen wurden. Frankreich hat am Freitag vor eine Woche überraschend schnell in Mali interveniert, als die Islamisten versuchten, ihr Herrschaftsgebiet auszuweiten. Seit April hatten sie sich auf den Norden Malis beschränkt, aber vergangene Woche überfielen sie die Stadt Konna in Zentralmali. Damit blieb als einziges Hindernis auf dem Weg nach Bamako nur noch die Militärgarnison mit dem Flughafen der malischen Armee in Sevare. Schnelles Eingreifen war geboten, um zu verhindern, dass das ganze Land in die Hände der Islamisten fiel.

„Der Krieg wird lange Zeit dauern“, sagt Oberst Frédéric auf der Militärbasis der französischen Armee, die in einer Kaserne des malischen Militärs in Markala eingerichtet ist. Als Offizier gibt er zumindest seinen Vornamen preis. „Mali könnte sich zu einem Malistan entwickeln“ – eine Anspielung auf die anhaltenden Terroranschläge der Taliban in Afghanistan. „Es sind wahrscheinlich weniger als 3000 Islamisten in Mali, aber wenn sie einen Guerillakrieg mit Autobomben und Selbstmordattentaten starten, könnten sie immensen Schaden anrichten.“

Bisher sei es noch ein symmetrischer Konflikt. Aber das könnte sich schnell ändern, sobald die Rebellen erkennen, dass sie militärisch auf die Verliererstraße geraten. „Man muss festhalten“, fügt der Oberst an, „in Mali haben die Terroristen keinen Rückhalt in der Bevölkerung.“ Den Franzosen wird vom Straßenrand überall zugewinkt, „Es lebe Frankreich!“ gerufen und mit hochgehobenen Fäusten „viel Kraft“ im Kampf gewünscht.

Die Fahrt im Schützenpanzer zu Stellungen der französischen Armee rund um Markala führt einige Kilometer außerhalb der Stadt. Das gepanzerte Fahrzeug biegt von der Hauptstraße auf eine holprige Piste, auf der die Insassen kräftig durchgerüttelt werden, ab. Nach wenigen Minuten erreicht man ein kleines Dorf. Zwischen den Gebäuden läuft eine Schar von Hühnern und Ziegen. Zwei Esel sind angebunden. Neben einem Wohnhaus, dessen Außenwände landestypisch mit einer Lehmschicht abgedichtet sind, steht ein Radpanzer. Unter einem Mangobaum ist eine Maschinengewehrstellung eingerichtet. Eine zweite liegt in einem Graben. Ein Soldat sondiert mit Fernglas unaufhörlich die umliegende Gegend. „Mich stört das überhaupt nicht, dass bei mir ein französischer Außenposten untergebracht ist“, versichert Amala Ag al-Mahi, der hier mit seiner Familie und der seines Bruders lebt. „Im Gegenteil“, meint der 45-Jährige. „Wir sind glücklich und dankbar, dass uns geholfen wird.“


Warten auf den Einsatz. Die letzte Stellung der Franzosen befindet sich fünf Kilometer hinter Markala. Ein Bagger hebt gerade einen Graben aus, in dem ein Maschinengewehr postiert werden soll. Auch hier verfügt der Posten über einen Radpanzer und zwei Schützenpanzer. Einige der über 20 Soldaten dieser Stellung sind gerade dabei, Panzerabwehrraketen in die Fahrzeuge zu verfrachten. Anschließend erzählt ein Soldaten, wie enttäuscht er nach den ersten Bombenangriffen gegen die Rebellen gewesen sei. „Wir wollten alle sofort in die besetzten Städte einrücken. Aber Politiker treffen die Entscheidungen. Viele Tote können sie nicht gebrauchen.“

Der Ort Konna, den die Islamisten vor über einer Woche erobert hatten, wurde tagelang aus der Luft bombardiert. Der Einsatz von Bodentruppen blieb jedoch aus, obwohl französische und malische Regierungsstellen das Gegenteil behaupteten. Erst am Freitag soll die malische Armee im Alleingang die Stadt befreit haben. Ein Sprecher von Ansar Dine bestätigte den Abzug der islamistischen Kämpfer.

Der Angriff auf Diabaly, das die Rebellen am vergangen Montag eingenommen hatten, beschränkte sich ebenfalls auf Bombardierungen. Die Stadt mit 15.000 Einwohnern liegt 100 Kilometer von Markala entfernt. Der letzte größere Ort vor Diabaly, eine knappe Fahrstunde entfernt, ist Niono. „Die Terroristen haben die Stadt verlassen und sind Richtung Norden unterwegs“, erklärt Syedou Toure, der Präfekt der Region, in seinem Büro im Verwaltungsgebäude von Niono. Die Rebellen sollen Lere anpeilen, das nahe der mauretanischen Grenze liegt und von wo man weiter nach Timbuktu und Gao kommt. Das sind die zwei ehemaligen Hochburgen der Islamisten, aus denen sie zum Teil geflüchtet und auf umliegende ländliche Gebiete ausgewichen sein sollen.

In Niono kommen täglich neue Flüchtlinge aus Diabaly an. Es ist ein Ort mit 50.000 Einwohnern, von zahlreichen Kanälen durchzogen, in denen Frauen mit ihren Kindern Wäsche waschen. Krieg passt hier nicht ins Bild. Am Checkpoint am Ortseingang überprüfen malische Soldaten die Identität aller Ankommenden. Man durchsucht ihre wenigen Habseligkeiten. „Wir haben Angst vor Infiltrationen“, erläutert Präfekt Toure. „Die sind gefährlich, und man kann sie nie ausschließen.“ In Niono ist mehrfach aus Angst vor anrückenden Islamisten Panik ausgebrochen. „Nur mit Mühe konnten wir die Menschen beruhigen“, sagt Toure. „Ich begann schon an mir selbst zu zweifeln. Jeden Tag, wenn die Nacht einbrach, überkam mich eine ungewohnte Nervosität.“

Nette Gotteskrieger. Die Menschen sind durstig, ausgelaugt und müde. Sie waren eineinhalb Tage zu Fuß unterwegs. „Als die Islamisten nach Diabaly kamen, haben sie die Kirche angezündet“, berichtet Mohammadou. Ein Mann sei dabei ums Leben gekommen, fügt der 37-Jährige an, der als Drucker arbeitet. „Das Krankenhaus haben sie zuerst mit einigen Salven beschossen, bevor sie sich Medikamente holten.“ Sonst hätten sich die Islamisten jedoch sehr nett gegenüber der Bevölkerung verhalten. „Sie haben Wasser und Erdnüsse verteilt.“ Die Scharia, das islamische Recht, sollte nach Absprache mit dem Imam der Stadt zu einem späteren Zeitpunkt eingeführt werden. „Sie bezahlten den Frauen 2000 Franc (umgerechnet drei Euro), wenn sie ein Kopftuch aufsetzten.“ Kämpfe fanden, nach seiner Aussage, keine statt, alles sei friedlich geblieben. „Nur an einigen Tagen bombardierten die französischen Flugzeuge.“

Bei Mafu, der aus dem zwei Kilometer vor Diabaly gelegenem Dorf Koroma stammt, quartierten sich die Islamisten ein. „Sieben von ihnen schliefen in meinem Haus. Sie waren sehr freundlich.“ Sie sagten ihm, man sei nur gekommen, um Schutz zu bieten vor den französischen Kreuzfahrern und den malischen Soldaten. Man wolle niemandem etwas tun und keinerlei Steuern erheben. „Sie waren gelassen und zuversichtlich, kein Anzeichen von Nervosität. Sie riefen immer wieder Allahu Akbar, Gott ist groß.“ Von Gefechten hat auch er nichts mitbekommen.

Wenig später trifft der 23-jährige Marif mit einer Gruppe von Männern am Ortseingang von Niono ein. Er erzählt, dass die Rebellen ihre Pick-ups unter Bäumen und Planen versteckten. „Wenn Flugzeuge kamen, sind sie in Wohnhäuser gegangen. Sie haben mit den Bewohnern Tee getrunken, bei ihnen gewohnt und mit ihnen in der Moschee gebetet.“ Die meisten Waffen, die sie bei sich trugen, habe Marif noch nie gesehen. „Unsere Armee hat so etwas nicht“, meint er bestimmt.

Unter den Islamisten seien Araber, Schwarze und Mischlinge gewesen. Sie sprachen Französisch, Arabisch und Bambara, die lokale Sprache. „Einige konnte man überhaupt nicht verstehen“, wirft Moussa ein, der mit Marif gekommen ist. „Das waren Sprachen, die ich noch nie gehört habe.“

Moussa erzählt weiter, die Rebellen seien ständig in Bewegung gewesen. „Sie fuhren die Stadt ab und kontrollierten umliegende Dörfer.“ Einer der Islamisten habe ihn aufgefordert, die Hosenbeine hochzukrempeln. Moussa bückt sich lachend hinunter, um es vorzuführen. „Das ist das Erkennungszeichen für Salafisten“, erklärt er wieder breit schmunzelnd und zieht die Hosenbeine wieder herunter.

Die Aussagen der drei Männer decken sich mit denen anderer Flüchtlinge aus Diabaly. Seltsamerweise konnte niemand etwas von Kämpfen berichten. Das malische Militär wie auch französische Regierungsstellen hatten von einer Bodenoffensive und Haus-zu-Haus-Kämpfen gesprochen. Nicht weniger seltsam muten die Freundlichkeit und die Nachsicht der religiösen Extremisten an. In den neun Monaten, in denen sie den Norden Malis kontrollierten, zeigten sie sich wenig tolerant, was die Scharia betraf. Menschen bestrafte man mit Schlägen, weil sie geraucht, Musik gehört oder Alkohol getrunken hatten. Dieben schnitt man die Hand ab. Ein unverheiratetes Pärchen wurde gesteinigt.

Die letzte Station auf der Fahrt mit den Franzosen führt zu einem Stützpunkt des malischen Militärs. Die meisten der 120 Soldaten dösen im Schatten der Bäume, kein Mensch sondierte die Gegend. Eine Nachlässigkeit, die nach dem Besuch französischer Stellungen frappant wirkt. „Wir verlassen uns auf unsere Aufklärungsarbeit“, sagt Koanti Mahi, der Chef der Truppe. „Wir erhalten Informationen von der Landbevölkerung.“ In Diabaly sei das Kommunikationsnetzwerk von den Islamisten zerstört worden. „Wenn man jedoch auf Bäume klettert“, versichert der Hauptmann, „kann man ein Signal bekommen.“

Moral gestärkt. „Ja, wir sind mit der Zusammenarbeit mit den Maliern zufrieden“, meint Hauptmann Pascal, der die Rundfahrt begleitet. „Sie haben den Glauben an sich wiedergefunden.“ Die Moral war am Ende, seit das malische Militär von den Tuareg innerhalb von nur drei Monaten vernichtend geschlagen wurde. Das Nomadenvolk hatte 2012 eine Rebellion gegen die Zentralregierung in Bamako begonnen. Nachdem sie im März einen unabhängigen Staat ausgerufen hatten, wurden sie von den Islamisten vertrieben.

Die Rückfahrt zur Basis der Franzosen, die in einer Kaserne der malischen Armee eingerichtet ist, dauert keine 20 Minuten. Zum Abschluss gibt Hauptmann Pascal eine Einschätzung über die Kampfkraft der Islamisten. „Mit einer so gut organisierten Truppe ist Frankreich seit dem Indochina-Krieg nicht mehr konfrontiert worden.“

(c) Die Presse / HR

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2013)

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