„Uncle Joe“, der Insider an der Seite des Präsidenten

Vizepräsident. Joe Biden ist für Barack Obama zur unerlässlichen Stütze geworden. Wegen seiner losen Zunge und Fauxpas belächelt, hält er engen Kontakt zu Kongress und Opposition. Für 2016 erwägt er selbst eine Kandidatur.

Washington. Im mit blau-weiß-roten Ballons und Banderolen dekorierten Ballsaal hallte Gelächter. Vizepräsident Joe Biden hatte ein Grußwort an die Gäste des Iowa-Inaugurationsballs gerichtet. Mit geschwellter Brust, ergriffen vom eigenen Pathos, setzte er einen Freud'schen Versprecher in die Welt, der am Feiertagswochenende die Washingtoner Politzirkel erheiterte und ihn in den nächsten Jahren verfolgen wird: „Ich bin stolz, Präsident der USA zu sein.“

Im aufbrandenden Jubel hatte Biden seinen Lapsus gar nicht bemerkt, erst sein Sohn Beau korrigierte ihn. Es war einer jener notorischen Fauxpas, für die der Vizepräsident berüchtigt ist – und er hat einen Hintergrund. Der bald 70-Jährige erwägt für 2016 eine Präsidentschaftskandidatur, wie sein Umfeld verbreitet hat. Mit Familie, Freunden und Beratern hielt er nach dem geschlagenen Wahlgang im November Kriegsrat. Dass ihm die Äußerung just beim Iowa-Ball über die Lippen kam, fügt sich trefflich ins Bild. Denn in dem Agrarstaat im Mittelwesten entscheidet die erste Vorwahl oft über Wohl und Wehe der Bewerber.

Nach 1988 und 2008 wäre es bereits der dritte Anlauf für das höchste Amt im Staat, bei den beiden ersten Malen war ihm wenig Glück beschieden. Barack Obama wählte den beliebten Senator, seit 1973 die Inkarnation des Washingtoner Insiders, schließlich zu seinem Vizepräsidentschaftskandidaten, um seine Jugend und seinen Mangel an politischer Erfahrung auszutarieren. Als Vorsitzender des prestigeträchtigen außenpolitischen Ausschusses genoss Biden den Respekt der Republikaner. Mit vielen Senatoren des Oppositionslagers verbinden ihn noch heute enge Bande, was der Regierung zuletzt bei der Umschiffung der Fiskalklippe zugutekam. Der Vizepräsident beschloss mit Mitch McConnell, dem Senatsführer der Grand Old Party, in der Neujahrsnacht einen Deal.

„Erschieße mich auf der Stelle“

Dabei hatte der intellektuell-kühle Neosenator Obama seine Aversionen gegen den überschwänglichen Stil und die schier endlosen Reden seines Parteifreundes nur ungenügend kaschiert. Bei einer Ansprache Bidens im Senat schob er einem Mitarbeiter einen Zettel mit der ironischen Zeile zu: „Erschieße mich auf der Stelle.“

Noch im Wahlkampf 2008 hielt ihn Obama aus Angst vor einer „verbalen Bombe“ Bidens unter Quarantäne. Im Weißen Haus begann er die Expertise des gewieften Strategen und offenherzigen Polithaudegens zu schätzen. Im Laufe der ersten Amtszeit wuchs der Vizepräsident, von Satirikern als Witzfigur und schrulliger „Uncle Joe“ belächelt, zu einer unerlässlichen Stütze der Obama-Regierung heran – als Verbindungsmann zum Kongress bei heiklen Verhandlungen, als jovialer Anwalt der Arbeiterklasse und Mittelschicht, als Vorsitzender der Kommission zur Waffenreform und nicht zuletzt als dröhnender Wahlkämpfer: „GM lebt, und Osama ist tot“, lautete sein Mantra.

Seine lose Zunge und der ölige Charme des Berufspolitikers mit Hang zum Populismus brechen mit schöner Regelmäßigkeit durch. Nach dem Erfolg in der Gesundheitsreform flüsterte er Obama ins Ohr: „Big fucking deal.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2013)

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