Kongo: Gomas hölzerne Riesenroller

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In der Stadt Goma im Osten des Landes gibt es einen weltweit einzigartigen Fahrzeugtyp: das „Chukudu“, einen Tretroller aus massivem Holz. Die meisten ihre Fahrer verdienen ihr Geld als Spediteure.

Joseph Ngongo packt die fünf weißen Säcke mit Reis und stellt sie auf die Längsachse seines seltsamen Gefährts, eines riesigen Tretrollers aus Holz. Dann kniet sich der Kongolese auf das kleine Gummikissen hinter den Säcken und stößt sich mit dem freien Bein vom Boden ab. Die Anstrengung ist dem 24-Jährigen rasch anzusehen, er schwitzt schon nach wenigen Minuten, was aber angesichts der heißen Schwüle des Ostkongos nicht verwundert. Einen Motor hat sein Holztransporter nicht, die Straßen hier in der Stadt Goma und Umgebung hart an der Grenze zu Ruanda sind tückisch, die Wege holprig und selten asphaltiert.

Josephs steinzeitlich anmutendes Gefährt ist ein sogenanntes „Chukudu“. Schlichte Fahrzeuge dieses Typs sind für viele Menschen hier die einzigen Transportmittel und ihre einzigen Geldeinnahmequellen. Chukudus gehören zum örtlichen Stadtbild wie Autos in Europa.

Die meisten der „Chukudeurs“, so werden ihre Fahrer genannt, verdienen ihr Geld als Spediteure. Sie transportieren allerhand Waren von den Hügeln in die Stadt hinab. Bergauf und voll beladen wird das Chukudu geschoben, bergab steht der Fahrer hinter seiner Last und bremst den Roller durch Drücken eines Gummistückes, das am Hinterrad befestigt ist. Warum der Name Chukudu? Der Roller wurde nach dem Geräusch benannt, das er beim Fahren typischerweise macht: „Chu-ku-du, Chu-ku-du . . .“

Design à la Fred Feuerstein

Zwei Scheibenräder, dazwischen eine Art Baumstamm, Lenkgestänge aus Holz: Das Design ist vorindustriell und erinnert an Fred Feuerstein. Allerdings lassen sich auf den riesigen Rollern Lasten von bis zu 600 Kilogramm befördern, Fahrer und Beifahrer finden zusätzlich Platz. Die breite Längsachse muss die Gewichte aushalten, an ihr ist vorn auch die schwere Lenkung aufgehängt. Chukudus gibt es nur im Osten des Kongo, sie wurden in den 1970er-Jahren erfunden. „Not zwingt zur Kreativität“, sagt Joseph.

Ein Chukudu benötigt kein Benzin oder teure Ersatzteile, es wird vollständig aus natürlichen und wiederverwendbaren Materialien zusammengebaut. Die Kugellager und Achsen stammen aus verschrotteten Autos, die Scheibenräder sind, so wie fast das ganze Gefährt, aus Holz und an der Lauffläche mit Gummi aus Altreifen beschichtet. Die Bremse stellt man ebenfalls aus Gummireifen oder Flip-Flop-Sandalen her. So kann jeder mit etwas Geschick ein Chukudu zusammenbauen.

Josephs Heimat Goma ist die östlichste Stadt des Kongo und zählt rund 500.000 Einwohner (so genau weiß es niemand). Illegal gelegte Kabel wickeln sich in der Stadt wie Schlingpflanzen um die Masten, deren Leitungen nur selten funktionieren. Die meisten Häuser sehen aus, als würden sie gleich einstürzen. Es gibt eine einzige Hauptstraße, auf der die weißen Autos der UN-Friedenstruppen mit grimmig schauenden Blauhelmen fahren.

Umkämpfte Rohstoffquellen

Die Region ist eine der rohstoffreichsten der Welt und deswegen seit Jahren heftig umkämpft. Die kongolesische Armee und verschiedene, teils von Ruanda aus unterstützte Milizen streiten hier um riesige Vorkommen begehrter Bodenschätze, etwa um extrem seltene Metalle, die in Industriestaaten in der Fertigung elektronischer Geräte, etwa von Handys, benötigt werden. Von den Rohstoffen profitieren die Einheimischen kaum. Insgesamt rund 66 Millionen Einwohner hat die Demokratische Republik Kongo, das Land im Herzen Afrikas, die Lebenserwartung von Männern liegt bei 46 Jahren, von Frauen bei 49. Der Kongo gehört mit einem Pro-Kopf-Einkommen von zuletzt 123 Dollar jährlich zu den zehn ärmsten Staaten der Welt.

Auch Josephs Kräfte und Talente gehen für den täglichen Überlebenskampf drauf. Er muss seine Frau und seinen dreijährigen Sohn versorgen. Sie leben in einer kleinen Blechhütte am Stadtrand. Wenn es länger regnet, tropft es durchs Dach, die Lehmwände weichen auf, Müll schwimmt die Straße herab. Ein kleines Beet vor der Tür bringt ein paar Kartoffeln und Tomaten. Fließendes Wasser, Strom oder Telefon gibt es nicht.

Ein bescheidener Reichtum

Damit er seinem Sohn später das Schulgeld bezahlen kann, steht Joseph jeden Tag gegen fünf Uhr im milchigen Frühlicht auf, wenn die Sonnenstrahlen durch die Bäume kriechen. Jeder seiner Tage endet mit Einbruch der Dämmerung. Als Zehnjähriger schon habe er für sich selbst sorgen müssen, erzählt er, mit 15 habe er nachts für einen Dollar als Wächter in einem Lokal gearbeitet. Vor vier Jahren baute er ein Chukudu. Seitdem er damit Lebensmittel oder Holzkohle transportiert, verdiene er bis zu zehn Dollar am Tag. Joseph sagt es voll Freude. Er ist trotz aller Mühe stolz, Chukudeur zu sein.

Der Bürgermeister Gomas wollte die Roller vor einiger Zeit aus dem Zentrum verbannen, weil sie für den Verkehr zu gefährlich seien. Als die Fahrer protestierten, gab er rasch nach. Heute steht im Stadtzentrum sogar ein mächtiges, vergoldetes Chukudu-Denkmal, das in der Nacht mit Licht angestrahlt wird. Das Denkmal leuchtet dann golden durch den Staub der Stadt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2013)

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