Niedersachsen: Rot-Grün spürt Rückenwind von der Nordsee

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Mit einem Vorsprung von einem Mandat wird Stephan Weil neuer Ministerpräsident. Der knappe Sieg verschafft den linken Parteien eine Mehrheit im Bundesrat, mit der sie die Arbeit der Regierung blockieren können.

Berlin/Gau. Es ging spannender zu als beim Sonntagabendkrimi: Ein so knappes Ergebnis wie in Niedersachsen hat es kaum jemals bei einer deutschen Regionalwahl gegeben. In den ersten Hochrechnungen sah es noch nach einem leichten Vorsprung für die schwarz-gelbe Koalition aus, am späteren Abend nach einem Patt.

Erst kurz vor Mitternacht stand fest: Es kommt doch zu einem Machtwechsel, Rot-Grün siegt mit einem hauchdünnen Vorsprung von nur einem Mandat. Neuer Ministerpräsident wird Stephan Weil von der SPD. Der bisherige Bürgermeister von Hannover triumphierte nicht, sondern freute sich wie ein bescheidenes Kind über den Erfolg, an den seine Truppe nicht mehr recht geglaubt hatte.

Rückschlag für Merkel

Das Ergebnis ist ein schmerzlicher Rückschlag für Angela Merkel, die mit vollen Umfrage-Segeln in den Bundestagswahlkampf gestartet war. Zum zwölften Mal in Folge gelang bei einer Landtagswahl keine bürgerliche Mehrheit. Die Kanzlerin hatte sich mächtig ins Zeug gelegt, um die Aufholjagd von Ministerpräsident David McAllister zu unterstützen: So oft wie noch nie in einem regionalen Wahlkampf trat sie an der Seite ihres loyalen Mitstreiters auf. Doch der Einsatz war umsonst. Durch mehr als 100.000 Leihstimmen für die FDP fuhr die CDU sogar einen schweren Verlust von sechs Prozentpunkten ein. Doch auch für das bürgerliche Lager in Summe hat es am Ende nicht ganz gereicht. Merkel tröstet sich mit trockenem Humor: „Wir haben schon ganz anders verloren.“

Die Grünen fuhren ihr bisher bestes Ergebnis in der ländlich geprägten Region zwischen Harz und Nordsee ein. Das stärkt ihr Selbstvertrauen im Bundeswahlkampf, sie wollen ihrem Wunschpartner SPD nun auf Augenhöhe begegnen. Der wichtigste Sieger des Abends aber war Peer Steinbrück – wenn auch alles andere als ein strahlender. Der SPD-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl gab vor laufenden Kameras seine „Mitverantwortung“ für die mangelnde Unterstützung aus Berlin zu.

Steinbrück reuig und gestärkt

Seine Pannenserie hat die SPD in den bundesweiten Umfragen auf bis zu 23 Prozent hinuntergeprügelt. Die Genossen in Niedersachsen legten also trotz, nicht wegen Steinbrück leicht zu. Dennoch kann der Frontmann aufatmen: Ein Tausch des Pferdes mitten im Rennen steht nun nicht mehr zur Diskussion. Rot und Grün wittern plötzlich wieder Morgenluft.

Das liegt auch an den neuen Machtverhältnissen im Bundesrat. In dieser Länderkammer haben die von SPD, Grünen und Linken regierten Regionen nun eine absolute Mehrheit. Offiziell wollen sie die Regierung durch Gesetzesinitiativen zum Mindestlohn und einer Abschaffung des Betreuungsgeldes unter Druck setzen. Solche Versuche werden aber an der schwarz-gelben Mehrheit im Bundestag scheitern und haben damit nur Symbolcharakter.

Viel konkreter ist die Möglichkeit einer Blockadepolitik: Schon mit der bisherigen relativen Mehrheit konnten die linken Parteien „zustimmungspflichtige“ Gesetze zu Fall bringen – so geschehen beim Steuerabkommen mit der Schweiz.

Von nun an können sie jedes Gesetz der Koalition zumindest stark hinauszögern: Nach dem Einspruch im Bundesrat geht es in einen Vermittlungsausschuss, der sich über viele Monate ziehen kann. Bei einem Scheitern muss der Bundestag erneut abstimmen, um das Gesetz mit einer absoluten „Kanzlermehrheit“ doch noch durchzubringen. Damit haben es die linken Parteien in der Hand, die Arbeit der Regierung bis zur Wahl im Herbst zu lähmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2013)

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