Die Todesliste des Friedensnobelpreisträgers

US-Präsident Barack Obama ordnet den Großteil der Drohnenangriffe selbst an. Die juristischen Probleme dieser gezielten Tötungen sind außerhalb »regelrechter« Kriegsschauplätze heikel. Es zeichnet sich aber ab, dass die Methode weltweit toleriert wird.

Er ist Friedensnobelpreisträger. Dennoch zeichnet er Todesurteile ab. Fast jede Woche. Und zwar solche, die kein „echtes“ Gericht gefällt hat, sondern eine geheime Gruppe von Militärs, Geheimdienstlern, Diplomaten, Juristen. Aber US-Präsident Barack Obama führt Krieg. Gegen Terroristen.

Obama will in dem Drohnenkrieg gegen Terroristen das letzte Wort haben. Er fordert von der CIA, die die Aktionen in Pakistan, im Jemen und Somalia durchführt, ihm jeden Fall vorzulegen, bei dem das Risiko ziviler Opfer nicht fast bei null liegt. Heute läuft der Prozess etwa so ab: Fast jede Woche, oft Dienstag, beraten unter Federführung von Pentagon und CIA mehr als 100 Experten, welche bekannten Terrorverdächtigen man in Pakistan, Somalia und im Jemen durch Drohnen töten soll. Man diskutiert, wie gefährlich sie sind, ob man sie nicht verhaften könne etc. Dann werden Todeskandidaten nominiert und „Sedcards“ über sie ausgestellt. Obamas Antiterror-Berater, derzeit John O. Brennan, geht damit zum Präsidenten und bittet um seine Wahl; der lässt sich die Fälle erklären und sucht die Opfer aus. Irgendwann danach starten die Drohnen.

Tatsächlich segnet Obama nicht jeden Angriff ab: In Pakistan sind es nur die ganz heiklen, zudem muss nicht jedes Opfer namentlich bekannt sein. Möglich sind auch „Signature Strikes“, Angriffe auf Orte, für die es gute Indizien für Terroraktivitäten gibt, oder auf Unbekannte, aus deren Verhalten man terroristische Verwicklungen ableitet.

Juristisch eröffnet der Drohnenkrieg viele Probleme – aber nicht in Afghanistan, einem völkerrechtlich und politisch anerkannten Kriegsschauplatz, auf dem die Taliban ein Gegner mit Kombattantenstatus sind und die Drohnen nicht anders bewertet werden als andere Waffen. Andere Länder, etwa Pakistan, sind aber keine regelrechten Kriegszonen. Dort werden die Drohneneinsätze vom Geheimdienst CIA durchgeführt, in Afghanistan von der Airforce. Das ist ein Unterschied: Geheimdienstler sind keine kriegsrechtlich legalen Kombattanten wie „echte“ Militärs. David Glazier, Professor an der Loyola Law School (Los Angeles), meint etwa, man könnte sie in dem Staat, in dem sie zuschlagen, wegen Mordes anklagen. Dass Drohnen auch die Souveränität der „Nicht-Kriegsstaaten“ verletzen, ist de facto egal: Die dortigen Regierungen unterstützen die Angriffe mehr oder weniger offen. In beiden Fällen gilt: wo kein Kläger, da kein Richter.

Übung macht das Recht. Zudem gibt es verfassungs- und völkerrechtliche Dispute, ob Tötungen ohne Prozess und auf Verdacht wie bei „Signature Strikes“ mit dem Recht auf faires Verfahren vereinbar sind. Befürworter sagen, man sei im Krieg, das hebe normale Normen auf; zudem gibt es ein Gutachten des US-Justizministeriums, wonach solche Tötungen in Ländern, in denen kein „offizieller“ Krieg mit US-Beteiligung herrscht, legal sind, falls den Aktionen ausreichende Beratungen in der Regierung vorangingen. Der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Terrorbekämpfung, der Brite Ben Emmerson, will prüfen lassen, ob „einige“ Drohnenangriffe völkerrechtswidrig gewesen seien – das sagt viel über deren wachsende Akzeptanz aus. Wie meinte einst Daniel Reisner, Israels Militär-Chefjurist: „Wenn man etwas lange genug tut, wird es die Welt akzeptieren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2013)

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