USA: Obamas geheimer Drohnenkrieg

Obamas geheimer Drohnenkrieg
Obamas geheimer Drohnenkrieg(c) AP (Isaac Brekken)
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Bis zu 5000 Tote forderten die US-Angriffe mit unbemannten Fluggeräten in Pakistan, im Jemen und Somalia. Die US-Regierung will den Drohneneinsatz ausweiten. Sie sieht darin die ultimative Waffe im Anti-Terror-Kampf.

Es beginnt wie ein ganz normaler Tag eines ganz normalen Amerikaners: Der Soldat frühstückt mit seiner Familie, verabschiedet sich von seiner Frau, bringt die Kinder zur Schule und fährt an seinen Arbeitsplatz. Dort, auf der Creech-Luftwaffenbasis bei Las Vegas, setzt er sich an den Computer – und fliegt Kampfeinsätze am anderen Ende der Welt. Er drückt auf seinem Bildschirm auf Angriff und irgendwo in Afghanistan feuert ein unbemannter Flugkörper eine Luft-Boden-Rakete auf ein al-Qaida-Versteck.

Was wie Science-Fiction klingt, ist längst Realität. Die USA verwenden seit mehr als einem Jahrzehnt so genannte „Drohnen“, ferngelenkte Fluggeräte, zum Beobachten, zum Aufklären und nun auch zum Töten. Der designierte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel hat angekündigt, in Zukunft noch stärker als bisher auf Drohnen zu setzen – ganz nach der „Drones first“-Strategie seines Präsidenten Barack Obama. Während Vorgänger Georg W. Bush Marschbefehle für ganze Armeen erteilte, will Obama möglichst wenig eigene Soldaten ins Kampfgebiet schicken. Er führt Bushs „Krieg gegen den Terror“ weiter, aber mit weniger GIs und weniger Aufsehen: Das Schlachtfeld gehört nun Spezialkräften und den Drohnen. Und es wird ausgeweitet.

Erst vor einigen Tagen gab die US-Regierung bekannt, unbemannte Fluggeräte in den Norden Afrikas zu verlegen. Von Stützpunkten in Niger und Burkina Faso sollen sie zu ihren Einsätzen abheben. Die USA reagieren damit auf die verstärkten Umtriebe jihadistischer Gruppen in der Region. Paris hat hier bereits eine Front eröffnet: Im Norden Malis gehen französische Bodentruppen gegen Islamisten vor.

Problemfall Pakistan. Schon George W. Bush hatte das Einsatzgebiet im Kampf gegen die Terrororganisation al-Qaida und ihre Verbündeten stetig vergrößert. Zu den Kriegen in Afghanistan und im Irak kamen verdeckte Operationen in anderen Ländern. Und Obama ging noch weiter: Er identifizierte Pakistan als Problemfall Nummer eins. In den schwer zugänglichen pakistanischen Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan tummeln sich Taliban, al-Qaida und andere jihadistische Gruppen. Von dort starten sie Angriffe auf die internationalen Truppen in Afghanistan und dort könnten sie – so die Sorge Washingtons – neue Anschläge in den USA planen. Schon in den ersten Tagen nach seiner Amtsübernahme 2009 ließ Obama Konzepte ausarbeiten, wie den Extremisten in den Stammesgebieten beizukommen sei. Offiziell führten die USA in Pakistan keinen Krieg. Ein massiver Einsatz von US-Soldaten kam deshalb nicht infrage. Also fiel die Wahl auf Angriffe aus der Luft – mit unbemannten Drohnen. Eine Strategie, die auch im Jemen und in Somalia angewendet wird.

Krieg mit anonymen Opfern.
Offizielle Zahlen darüber, wie viele dieser Einsätze bisher durchgeführten wurden, haben die USA nicht veröffentlicht. Eine oft zitierte Quelle, das „Bureau of Investigative Journalism“ (TBIJ) in London, listet für Pakistan von 2004 bis Jänner 2013 insgesamt 362 Angriffe auf, für den Jemen (seit 2002) 42 bis 52, für Somalia (seit 2007) drei bis neun. Für den Großteil dieser Operationen ist Obama verantwortlich, allein in Pakistan für 310 Attacken, für mehr als sechsmal so viele wie Bush. Die Zahl der Opfer dürfte bei bis zu 5000 liegen. Das „Bureau of Investigative Journalism“ geht von 2629 bis 3461 Toten in Pakistan aus, von 374 bis 1112 im Jemen und 58 bis 170 in Somalia.

Für Amerikas Öffentlichkeit sind das nur nüchterne Zahlen. Der Drohnenkrieg wird von ihr kaum wahrgenommen, denn er verursacht keine eigenen Gefallen. Er sorgt nicht dafür, dass junge Amerikanerinnen und Amerikaner – so wie aus Afghanistan und dem Irak – schwer gezeichnet nach Hause zurückkehren: ohne Arme, ohne Beine, mit posttraumatischen Störungen. Und auch wenn es Bewaffneten irgendwo in den Bergen des Hindukusch gelingt, eines der angreifenden Fluggeräte abzuschießen, bringt das den USA nur einen Verlust an Material. Denn der Pilot sitzt irgendwo auf einer sicheren Basis, in der Nähe des Einsatzgebietes oder tausende Kilometer entfernt in einem Kontrollraum in Nevada. Von dort steuert er die Drohnen über eine Satellitenverbindung – fast so wie bei einem Computerspiel.

Jagd auf US-Bürger. Vor einigen Wochen erhielten die Toten dieser US-Angriffe in der öffentlichen Diskussion aber ein Gesicht. CNN-Star Christine Amanpour interviewte in ihrer Sendung Nasser al-Awlaki. Er hatte im Herbst seinen Sohn Anwar al-Awlaki und seinen 16-jährigen Enkel Abdulrahman bei Drohnenattacken im Jemen verloren. Die Operationen gegen die beiden hatten in den USA für Aufsehen gesorgt, denn beide waren amerikanische Staatsbürger. Anwar al-Awlaki war in New Mexiko geboren worden. Er wurde Prediger in Kalifornien, radikalisierte sich und setzte sich in den Jemen ab, aus dem seine Familie stammte. Dass Anwar al-Awlaki trotz seiner US-Staatsbürgerschaft Ziel eines Angriffs werden würde, hatte sein Vater erwartet. Immerhin galt er als hochrangiger al-Qaida-Mann im Jemen. Dass aber auch Anwars minderjähriger Sohn Abdulrahman bei einer weiteren Attacke getötet wurde, kann Nasser al-Awlaki nicht akzeptieren: Abdulrahman habe mit al-Qaida nichts zu schaffen gehabt. Der Großvater will die US-Regierung klagen.

Kritik an Angriffen. Der Fall des 16-jährigen US-Bürgers Abdulrahman ließ in den USA eine kurze Debatte darüber aufflammen, ob die Drohnenangriffe rechtmäßig sind und ob sie wirklich immer die Richtigen treffen. „Zivile Opfer sind bei diesen Einsätzen überaus selten“, beteuert Obamas Anti-Terror-Berater John O. Brennan, der als neuer CIA-Chef nominiert worden ist. Ein im Jänner veröffentlichter Bericht des englischen Thinktanks „Chatham House“ widerspricht: Der Anteil ziviler Opfer in Pakistan liege bei 15 bis 26 Prozent. Nur zwei Prozent aller Getöteten seien hochrangige Terroristen, der Rest „Fußsoldaten“, von denen keine Gefahr für die USA ausgegangen sei, mittelbare Helfer oder Zivilisten. In den Gebieten, in denen Drohnen operierten, herrsche Angst, die extremistischen Gruppen erhielten durch die Angriffe nur noch weiter Zulauf.

Die Regierung Obama will davon nichts wissen. Sie pocht darauf, Terrororganisationen durch den Einsatz der Drohnen unter gewaltigen Druck gebracht zu haben. Wegen der permanenten Gefahr eines Angriffs hätten Extremisten Schwierigkeiten, schlagkräftige Organisationen aufzubauen.

In der Kosten-Nutzen-Rechnung der Militärs sind die Einsätze jedenfalls ein Erfolg: Sie haben mit den Drohnen eine Waffe im Arsenal, die für den verdeckten „Kleinkrieg“ wie geschaffen scheint. Ein Fluggerät, das fast unbemerkt in schwer zugängliche Gebiete vordringen kann, gelenkt von einem Piloten am anderen Ende der Welt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.02.2013)

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