Ami Ayalon: "Schlag gegen Iran nicht vom Tisch"

Schlag gegen Iran nicht
Schlag gegen Iran nicht(c) AP (FABIAN BIMMER)
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Der Ex-Direktor des israelischen Geheimdienstes, Shin Bet, Ami Ayalon, fordert ernsthafte Verhandlungen mit den Palästinensern.

Für einen Ex-Direktor des geheimnisumwitterten israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet verhalten Sie sich ungewöhnlich: Sie treten in einem Dokumentarfilm auf, suchen die Öffentlichkeit. Warum?

So wie ich es sehe, hat man als Agent so lange im Verborgenen zu bleiben, solange man im Einsatz ist. Was danach kommt, bleibt einem selbst überlassen. Viele meiner Freunde vom CIA und FBI halten Vorträge an Universitäten, nehmen an Debatten teil. Insofern bin ich keine Ausnahme. Was allerdings in der Tat anders ist: Ich und meine Kollegen von Shin Bet beziehen in dem Film „The Gatekeepers“ Position zu einem Kernthema. Obwohl wir nicht immer derselben Meinung sind, sind wir in dieser Sache einig – Israel muss mit den Palästinensern verhandeln.

Fast scheint es so, als seien in Israel die Geheimdienstler und Generäle pragmatischer und realistischer als die Politiker: Sie fordern den Dialog mit den Palästinensern und warnen vor einem Angriff auf den Iran.

Sie dürfen diese zwei Sachen nicht miteinander vermischen. Im Sicherheitsapparat ist man nicht grundsätzlich gegen einen Angriff auf den Iran. Man sagt aber, dass wir nur als Teil einer von den USA angeführten Koalition angreifen sollten. Der Iran ist eine existenzielle Bedrohung für Israel und wir sollten alles unternehmen, damit er nicht nuklear aufrüstet. Ein Schlag gegen den Iran ist keineswegs vom Tisch, aber er ist eine gefährliche Option.

Und die Palästinenser?

Sie sind in der öffentlichen Debatte kaum präsent. Im Wahlkampf sprach niemand über sie, die meisten Israelis haben sie vergessen. Ich glaube aber, dass wir die Palästinenserfrage nicht von der Causa Iran trennen können.

Warum?

Weil der Weg nach Teheran über Jerusalem und Ramallah führt. Wenn wir den Iran stoppen wollen, müssen wir pragmatisch denken und eine regionale Koalition schmieden. Das geht aber nicht, solange es in den israelisch-palästinensischen Verhandlungen keinen Fortschritt gibt. In der arabischen Straße ist das der Lackmustest: Können die USA und Europa Israel an den Verhandlungstisch bringen?

In Israel sieht man es offenbar anders.

Die israelische Gesellschaft ist verwirrt. Unsere Friedenshoffnungen aus den 1990er-Jahren haben sich mit der zweiten Intifada zerschlagen. Israelische Wähler würden heute keinem Politiker die Stimme geben, der Frieden verspricht. Überhaupt ist der Begriff „Frieden“ verbraucht und diskreditiert.

Zurück zum Iran: Hat ein Angriff Sinn, wenn man damit eine iranische Atombombe nur verzögern, aber nicht verhindern kann?

Ein weiser Ökonom hat einst festgestellt: Langfristig betrachtet sind wir alle tot. Eine Verzögerung des iranischen Atomprogramms ist nicht alles, aber trotzdem wichtig. Die iranische Gesellschaft ist sehr dynamisch, nach den nächsten Wahlen kann sich viel verändern. Drei oder fünf Jahre zu gewinnen wäre schon ein Fortschritt.

Apropos Dynamik: Israels Nachbarschaft wandelt sich, in Ägypten und Syrien finden Umwälzungen statt. Wie schätzen Sie Israels momentane Gefahrenlage ein?

Es gibt viele Risken, aber auch Chancen. Seit Jahrhunderten rittern drei Machtzentren um Dominanz in der Region: der Iran, Ägypten und die Türkei. Die Entwicklungen in Syrien haben die iranische Achse geschwächt. Ägypten wiederum ist mit sich selbst beschäftigt.

Bleibt also die Türkei.

Ich kann mir ein Szenario vorstellen, in dem die Türkei zum regionalen Vorbild aufrückt und mit den USA eine Koalition anführt, um dem radikalen Schiismus Einhalt zu gebieten. Ankara wird sich aber nicht bewegen, solange die Palästinenserfrage ungeklärt ist.

Ami ayalon

Von 1996-2000 war der heute 67-Jährige Direktor des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, der sich unter anderem für die Terrorbekämpfung einsetzt. 2007 bis 2008 war er Mitglied des Sicherheitsrates im Kabinett von Ehud Olmert. Ayalon ist Mitbegründer der Initiative „Blue White Future“, die sich für eine Zweistaatenlösung einsetzt. Zuletzt trat er in dem Oscar-nominierten Film „The Gatekeepers“ auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2013)

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