China verabschiedet sich vom Turbowachstum

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Die KP-Führung in Peking fördert nicht mehr Wirtschaftswachstum um jeden Preis und entdeckt ihre soziale Ader.

Peking. Vielleicht ist es Pekings Rekordsmog vom Jänner, der Chinas Führung umdenken lässt. Wahrscheinlich ist es aber einfach ökonomischer Sachverstand. Bei seiner Rede zu Beginn des Nationalen Volkskongresses (NVK) am Dienstag hat Chinas scheidender Premierminister Wen Jiabao erstmals offiziell eine Abkehr vom „Wachstum um jeden Preis“ angekündigt.

Chinas Führung werde sich künftig mehr um das Wohl der Menschen und eine saubere Umwelt kümmern, kündigte Wen zum Auftakt der jährlichen Sitzung des NVK an. „Wir müssen das Sichern und Verbessern des Wohlbefindens der Menschen zum Ausgangspunkt und Ziel aller Regierungsarbeit machen und danach streben, die soziale Entwicklung zu stärken“, sagte Wen in seiner fast zweistündigen Rede. Sein zentraler Satz: „Sozialprogramme werden künftig Priorität erhalten, wirtschaftliche Entwicklungsvorhaben dafür zurückgenommen.“

Bedrohliche Umweltzerstörung

Damit gibt die chinesische Führung erstmals auch offiziell zu, dass doppelstellige Wachstumsraten einer Volkswirtschaft auf Dauer nicht guttun. Im Anschluss dieser 13-tägigen NVK-Sitzung wird Wen nach zehn Jahren Amtszeit zurücktreten und seinen Posten seinem Nachfolger Li Keqiang überlassen.

Nach fast ununterbrochen zweistelligen Wachstumsraten in den vergangenen zehn Jahren ist Chinas Wirtschaft bereits im vergangenen Jahr nur noch um 7,8Prozent gewachsen. Für 2013 strebt die Regierung sogar lediglich eine Rate von 7,5 Prozent an. Dieses Wachstumsziel ist nicht so sehr eine Prognose, sondern als Signal gemeint, das sich vor allem an die Provinzpolitiker richtet. Die Botschaft: Die Zeiten zweistelliger Wachstumsraten sind vorbei. Sie sollen künftig weniger auf Großinvestitionen setzen.

Chinas rasantes Wirtschaftswachstum der vergangenen zwei Jahrzehnte hat zwar dafür gesorgt, dass Millionen von Menschen der Armut entfliehen konnten. Die vielen Baustellen, neu entstandenen Industrieanlagen sowie die massive Zunahme des Autoverkehrs führten jedoch zugleich dazu, dass die Umweltzerstörung im ganzen Land bedrohliche Ausmaße angenommen hat. Nicht nur sind Gewässer verseucht. In diesem Winter lebten zeitweise bis zu 800 Millionen Menschen unter einer dichten Smogdecke. Die Wirtschaftsentwicklung laufe zunehmend dem Umweltschutz entgegen, sagte Wen in seiner Rede.

Dem scheidenden Premierminister geht es keineswegs nur um mehr Umweltschutz. Obwohl sich die Wirtschaftsleistung in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt habe, sei die ökonomische Entwicklung in China „unausgewogen, unkoordiniert und nicht aufrechtzuerhalten“, sagte Wen. Überkapazitäten nähmen zu, die Innovationsfähigkeit der Unternehmen sei schwach ausgeprägt. Sorge bereite ihm auch die inzwischen riesige Kluft zwischen arm und reich. Soziale Probleme hätten deswegen deutlich zugenommen, so Wen.

Mehr Geld für Unis

All das sind für Chinas Führung Gründe, den Märkten weiterhin nicht völlig freie Hand zu lassen. Sie will auch künftig kräftig in das Marktgeschehen eingreifen. Wen kündigte an, dass die neue Führung verstärkt in den sozialen Wohnungsbau investieren werde. Am stärksten will sie die Ausgaben für Schulen und Universitäten erhöhen. Auf Platz zwei folgt der Aufbau eines flächendeckenden Sozialnetzes. Allerdings will sie auch den Militäretat deutlich erhöhen – um 10,7 Prozent auf umgerechnet rund 91 Milliarden Euro. Damit verfügt China nach den USA über den zweithöchsten Wehretat der Welt. Der chinesische Staat kann sich das leisten. Trotz des Anstiegs der Staatsausgaben wird der Anteil des Defizits an der jährlichen Wirtschaftsleistung bei gerade einmal zwei Prozent liegen.

Für eine so große Volkswirtschaft wie sie China inzwischen darstellt, sind aber auch Wachstumsraten im einstelligen Bereich alles andere als ein Beinbruch. Ein Anstieg der Wirtschaftsleistung um 7,5 Prozent für 2013 bedeutet noch immer ein Plus von fast 4 Billionen Yuan (493 Milliarden Euro). Zum Vergleich: 2010 wuchs Chinas Wirtschaft mit 10,3 Prozent doppelstellig ebenfalls um 4,1 Billionen Yuan. Das heißt: In absoluten Zahlen ist das Wachstum 2013 gar nicht so viel geringer als im Boomjahr 2010.

Auf einen Blick

Für das Jahr 2013 strebt Chinas Regierung eine Wachstumsrate von 7,5Prozent an. Das entspricht einem Plus von 493 Milliarden Euro. Im Vorjahr war Chinas BIP um 7,8Prozent gestiegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2013)

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