Zwei Jahre Kampf gegen Assad: Ein Land blutet aus

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Zigtausende Tote, Millionen Flüchtlinge und ein militärisches Patt. Der nahöstliche Schlüsselstaat steht vor dem Zerfall.

Kairo/Damaskus. Damals, zu Beginn des Arabischen Frühlings, gab sich Bashar al-Assad unerschütterlich: Syrien habe größere Probleme als viele arabische Nachbarn, dennoch sei es deutlich stabiler. Der Grund dafür sei die enge Bindung seiner Führung „an die Überzeugungen des Volkes“. Wenn es einen Riss gebe zwischen der offiziellen Politik und den Interessen der Bevölkerung, entstehe jenes Vakuum, das Unruhen erzeuge, belehrte Syriens Präsident wortreich seine westlichen Interviewpartner. Er jedenfalls habe, prahlte er selbstgewiss, anders als Tunesiens Ben Ali und Ägyptens Mubarak, vom ersten Tag im Amt an mit Reformen begonnen.

Heute, nach 24 Monaten unsäglicher Gewalt, liegt sein Land in Trümmern. Am 15. März 2011 haben die Bürger bei ersten landesweiten Massendemonstrationen noch mit heroischem Mut versucht, sich nicht provozieren zu lassen, ihre Rechte gewaltfrei einzufordern. Wochenlang trotzten sie den Schüssen der Sicherheitskräfte, den Greifkommandos des Regimes, der Folter. Dieses zivile Aufbegehren ist längst Geschichte, untergegangen in einem schier endlosen Strom von Bestialität.

Bald 85.000 Tote

Hatten nach einem Jahr 8500 Menschen ihr Leben verloren, so sind es jetzt am Ende des zweiten Jahres bald zehnmal so viele – ohne dass eine Lösung in Sicht wäre. Die Schlachten toben überall, Städte wie Aleppo, Homs, Hama oder Deraa sind schwer verwüstet und müssen teilweise ganz neu aufgebaut werden. Die Armee ist demoralisiert und erschöpft, Wehrpflichtige lassen sich kaum noch rekrutieren. Die meisten noch kampffähigen Eliteeinheiten sind um Damaskus konzentriert.

Seit Monaten herrscht ein Patt. Weder können in Homs, Aleppo oder Damaskus Assads Soldaten die Rebellen aus ihren Vierteln vertreiben, noch schaffen es die Aufständischen, die drei größten Städte ganz unter ihre Kontrolle bringen. Die Armee habe genug Soldaten und Waffen, um die Bevölkerung noch auf Jahre gegen die „Terroristen“ zu verteidigen, brüstete sich kürzlich die staatliche Zeitung „al-Watan“ – zumal der Nachschub aus Russland und dem Iran funktioniert.

Zersplitterte Opposition

Dagegen mangelt es den Rebellen an Waffen und Munition, ihre politische Führung ist tief zerstritten. Der neue Dachverband der Opposition, die „Nationale Koalition“, kam erst auf massiven internationalen Druck zustande. Auf eine provisorische Exilregierung können sich die Lager trotz mehrerer Anläufe nicht einigen. Stattdessen machte Oppositions-Chef Moaz al-Khatib im Jänner auf eigene Faust ein Gesprächsangebot an das Regime. Die Antwort aus Damaskus war ausweichend und nebulös, dafür die Kritik in den eigenen Reihen an dem intellektuellen Geistlichen umso härter.

Syriens Zerrissenheit ist kein Zufall. Das Land ist ein Herzstück der arabischen Welt und war immer schon Schauplatz regionaler und globaler Machtkämpfe. Hier kreuzen sich die Konflikte zwischen den sunnitischen Golfstaaten und dem schiitischen Iran, den USA und Russland, Israel und der Hisbollah. Im Inneren sind zu den Fronten zwischen Regime und Opposition weitere Kampflinien hinzugekommen – zwischen Nachbardörfern und Nachbarstadtteilen, zwischen Kurden und Arabern, sowie Sunniten, Alawiten, Drusen, Schiiten und Christen.

Gleichzeitig zieht der Massenexodus die Nachbarstaaten stark in Mitleidenschaft. Mindestens eine Million Menschen sind bereits geflohen, die größte Flüchtlingskatastrophe in der modernen Geschichte des Nahen Ostens. Weitere vier Millionen irren ohne Dach über dem Kopf in Syrien umher, die Hälfte Heranwachsende unter 18 Jahren, 500.000 Kleinkinder unter fünf. Hunderttausende haben alles verloren, ihre Angehörigen, ihre Existenz und ihr Vertrauen in die Zukunft.

Angst vor ethnischen Massakern

Mittlerweile scheinen die Tage des Regimes gezählt – doch sein Kollaps könnte noch Monate, vielleicht Jahre auf sich warten lassen. Und selbst wenn Assads Machtgefüge zusammenbricht, Anarchie und Bandenherrschaft werden folgen – sowie Rachefeldzüge und ethnische Massaker. Zehn Jahre nach dem Einmarsch der US-Armee im Irak steht mit Syrien ein weiteres Land der orientalischen Kernregion vor dem Zerfall, der Auflösung staatlicher Strukturen und der Zerstörung seines über Jahrhunderte gewachsenen Gewebes an interreligiösem und interkulturellem Zusammenleben. UN-Vermittler Lakhdar Brahimi drückte es drastisch aus: „Entweder wir erreichen eine friedliche Lösung, oder die Situation wird ähnlich wie in Somalia – oder sogar schlimmer.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2013)

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