„Keine Koalition mit etablierten Parteien“. Ex-Komiker Beppe Grillo blockiert die Regierungsgespräche. Dahinter steckt eine klare Strategie.
Die verzweifelte Suche nach einer mehrheitsfähigen italienischen Regierung kommt in die heiße Phase. Präsident Giorgio Napolitano führt seit Mittwoch Gespräche mit allen Parteien – auch mit dem Ziel, einen Partner für Pier Luigi Bersani zu finden. Da der Möchtegern-Premier nichts mit Silvio Berlusconis Rechten zu tun haben will, buhlen seine Linksdemokraten seit Wochen um Beppe Grillo. Der Ex-Komiker konnte bei der Parlamentswahl ein Viertel der Stimmen für sich gewinnen.
Grillo schaltet aber auf stur. In Rom lässt er sich kaum blicken. Seine Abgeordneten dirigiert er via Internet – von seiner genuesischen Villa am Meer. „Keine Koalition mit etablierten Parteien“, lautet die Devise. Immer deutlicher tritt das eigenartige Demokratieverständnis des Showman zutage: Jenen „Grillini“, die im Parlament für die Nominierung von Senatspräsident Piero Grasso (der Ex-Mafiajäger ist Linksdemokrat) gestimmt hatten, drohte er mit Rauswurf. Seine neuen „Pressesprecher“ – zwei Blogger – wies er an, nicht mit italienischen Medien zu sprechen: Man werde nur falsch zitiert.
Beppe Grillo, das effiziente Sprachrohr
Es ist nicht einmal sicher, ob Grillo heute nach Rom reist, um dort Napolitano zu treffen. Gerüchten zufolge könnte stattdessen Software-Unternehmer Gianroberto Casaleggio die Gespräche führen. Und das wäre kein Zufall. Der Mitbegründer der Grillo-Bewegung scheint der eigentliche Fädenzieher zu sein. Mehrmals am Tag telefoniert er angeblich mit dem Ex-Komiker, bespricht mit ihm die Strategie und gibt die Schlagwörter für Grillos Blog vor. Schließlich war es der zurückhaltende 58-Jährige mit der wirren grauen Haarmähne, der den damaligen Schauspieler dazu animierte, eine politische Internet-Bewegung zu gründen. „Damals dachte ich, entweder der ist verrückt oder er ist ein Genie“, schwärmt Grillo heute. Tatsächlich scheint der frühere Showman nichts zu tun, ohne Casaleggio vorher zu fragen. Grillo sei ihm „hörig“, klagten vor wenigen Monaten einige Mitglieder der Bewegung über das „diktatorische Gehabe“ Casaleggios im Netz. In Medien wird bereits über den „Großen Bruder“ des Ex-Komikers gespöttelt.
Minutiöse Kontrolle des Internet
Ohne Casaleggio wäre Grillo vermutlich immer noch ein mittelmäßiger Kabarettist. Der Unternehmer hat den Grillo-Blog in nur wenigen Jahren zum Massenphänomen gemacht. „Wir sind Pioniere. Wir ebnen den Weg für eine neue, direkte Demokratie. Wir werden alle Barrieren zwischen Staatsbürgern und dem Staat entfernen“, erklärte Casaleggio dem „Guardian“ sein Ziel – im einzigen Interview, das er jemals einer Zeitung gab. Dank des Internet würden Parteien, „die nur zwischen den Wählern und den Autoritäten stehen“, bald verschwinden.
Dass Casaleggio nur ein naiver Idealist ist, glaubt niemand. Dafür ist er zu erfolgreich. Sein „Casaleggio Associati“ gehört zu den einflussreichsten Kommunikationsunternehmen des Landes, unter anderem entwickelte es die italienische Web-Strategie für JP Morgan, Pepsi oder Marriott. Im Aufsichtsrat sitzen Vertreter führender Konzerne. Was der Manager wirklich will, ist nicht klar. Deutlicher ist, wie er sein Ziel erreichen will. „Das Internet funktioniert nach klaren Regeln. Die Kenntnis dieser Regeln hilft uns, das Netz zu unserem Nutzen zu verwenden“, schreibt er in seinem Buch. Gerüchten zufolge kontrolliert sein Unternehmen minutiös, was über Grillo im Netz verbreitet wird – und entwickelt bei kritischen Beiträgen prompt eine Gegenstrategie. Casaleggio deutet in einem Artikel auf die Rolle hin, die er womöglich für sich und Grillo vorgesehen hat. „90 Prozent der Online-Inhalte werden von zehn Prozent der User produziert – den Influencern. Wenn ein Influencer ein Produkt boykottiert, wird es nicht verkauft.“
Auf einen Blick
Fast vier Wochen nach der Parlamentswahl am 24. und 25. Februar hat Präsident Giorgio Napolitano am Mittwoch Konsultationen zur Regierungsbildung gestartet. Erwartet wird, dass er dem Linksdemokraten Pier Luigi Bersani den Regierungsauftrag erteilt. Doch dessen Partei hat nur in einer Kammer die Mehrheit. Beppe Grillos Bewegung lehnt eine Koalition bisher ab, mit Silvio Berlusconis Rechten will Bersani nicht koalieren. Sollte keine Mehrheit zustande kommen, sind vorgezogene Wahlen wahrscheinlich.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2013)