Türkei: Öcalan schwört dem Kampf ab

Tuerkei oecalan schwoert Kampf
Tuerkei oecalan schwoert Kampf(c) REUTERS (UMIT BEKTAS)
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Nach fast drei Jahrzehnten blutiger Kämpfe zeichnet sich im Kurdenkonflikt eine Friedenslösung ab. Der inhaftierte PKK-Chef rief eine Waffenruhe aus. Jetzt können Verhandlungen mit Ankara beginnen.

Ein Meer von bunten Fahnen und Bändern glänzte im strahlenden Licht der Frühlingssonne. Mehrere hunderttausend Menschen, viele von ihnen in den kurdischen Farben Rot, Gelb und Grün gekleidet, versammelten sich am Donnerstag im südosttürkischen Diyarbakir zur Feier des kurdischen Neujahrsfestes Newroz. Sie hielten Poster und Fahnen mit dem Bild Abdullah Öcalans in die Höhe und feierten den Gründer der als Terrororganisation verbotenen „Arbeiterpartei Kurdistans“ PKK. Das Sensationelle geschah: Alles blieb friedlich – und Öcalan rief aus seiner Gefängniszelle heraus das Ende des bewaffneten Kurdenkonflikts aus. In diesem Jahr sollen die Kämpfe beendet werden.

Noch im vergangenen Jahr hätten Sympathiebekundungen für die PKK und deren Chef ausgereicht, um ein Eingreifen der Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas zu provozieren. Doch am Donnerstag wussten die Behörden, was auf dem Spiel stand: In Diyarbakir wurde ein Friedensaufruf von Öcalan verlautbart, der das Ende des Kurdenkriegs nach fast 30Jahren Gewalt und mehr als 40.000 Toten einleiten könnte. Ankara reagierte positiv. Parlamentarier der Kurdenpartei BDP verlasen Öcalans fünfseitige Erklärung erst auf Kurdisch und dann auf Türkisch – auch das wäre in früheren Jahren undenkbar gewesen.

Ende der Diskriminierung

„Eine neue Ära beginnt“, betonte Öcalan. Die PKK solle die Waffen schweigen lassen und ihre Kämpfer aus der Türkei zurückziehen. Nicht mehr die Waffen, sondern die Politik solle in den Vordergrund rücken. Öcalan formulierte keine konkreten Forderungen an den Staat, verlangte aber ein Ende der Diskriminierung der Kurden – der Ruf war an das Parlament gerichtet, das derzeit an einer neuen Verfassung für die Türkei arbeitet.

Rüstem Erkan, Soziologe an der Dicle-Universität in Diyarbakir, sieht Öcalans Erklärung als erste Stufe der endgültigen Entwaffnung der PKK. Bemerkenswert sei, dass sie nichts enthalte, was nicht auch von der Regierung unterschrieben werden könne, sagte er im TV. Das sieht auch Premier Recep Tayyip Erdoğan so. In großen Teilen deckte sich Öcalans Botschaft mit den Stellungnahmen der Regierung, betonte er. Sobald die PKK die Befehle zur Waffenruhe und zum Rückzug umsetze, „wird sich die Atmosphäre in der Türkei ändern“. Wenn die PKK ihre Angriffe einstelle, werde auch die Armee ihre Operationen beenden. Erstmals seit Beginn des PKK-Aufstands 1984 verhandeln die Konfliktparteien auf der Grundlage der Einsicht, dass das Kurdenproblem nur politisch lösbar sei. Hinzu kommt eine Überschneidung der Interessen. „Erstmals sind beide Seiten zu einer Lösung entschlossen“, sagt Mehmet Yegin von der Denkfabrik Usak in Ankara.

Beide Seiten wollen Lösung

Erdoğan will eine Lösung vor dem Beginn eines Wahlmarathons mit Kommunal-, Parlaments- und Präsidentenwahlen in den kommenden zwei Jahren. Auf kurdischer Seite wiederum dürfte Öcalan eine ehrliche Bereitschaft des türkischen Staates zu politischen Zugeständnissen erkannt haben, und wohl auch die Chance, als Friedensvermittler in die Geschichte einzugehen. Immerhin hat der Staat den PKK-Gründer als Verhandlungspartner und damit als Vertreter der Kurden anerkannt.

Nach der Waffenruhe soll der Rückzug der PKK-Kämpfer aus der Türkei bis Ende des Jahres über die Bühne gehen. Für den Abzug hat Erdoğan den Rebellen freies Geleit zugesagt. Die einfachen PKK-Kämpfer sollen in die türkische Gesellschaft zurückkehren, für den harten Kern der Führung ist eine Exillösung im Gespräch.

Im Gegensatz zu dem klaren Zeitplan für einen Gewaltverzicht der PKK besteht bei den Leistungen des Staates im Friedensprozess noch weitgehend Unklarheit. Öcalan, die PKK und die Kurdenpartei BDP fordern eine Garantie für die politischen und kulturellen Rechte der mit zwölf Mio. Menschen größten ethnischen Minderheit des Landes. Das könnte durch einen Passus in der neuen Verfassung geschehen. Die Regierung spricht von einer generellen Stärkung der Demokratie für alle Bürger, lehnt einen expliziten Sonderstatus für die Kurden oder eine regionale Autonomie aber ab. Leitartikel Seite 2

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2013)

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