Die Kriegsdrohungen werden immer bizarrer, zuletzt tönte man, Hawaii angreifen zu wollen. Obwohl das Land eines der größten Heere hat, ist dessen Kampfwert aber moderat. Ein Angriff auf den Süden würde scheitern.
Am Dienstag ging das Säbelrasseln aus Nordkorea weiter. Nachdem das verarmte Land von Jungdiktator Kim Jong-un (30) jüngst den Waffenstillstand nach dem Koreakrieg (1950–53) gekündigt und den USA mit Atomkrieg gedroht hatte, startete das Regime weitere rhetorische Raketen: Man habe alle Artillerieeinheiten und Raketentruppen in Kampfbereitschaft versetzt; sie sollten auch Hawaii und die US-Pazifikinsel Guam ins Visier nehmen.
Aus Südkorea hieß es zwar, man habe keine besonderen Truppenbewegungen bemerkt, China mahnte Pjöngjang zur Mäßigung. Dennoch stellt sich abgesehen von der Frage, welches Motiv hinter den Verbaleruptionen steckt, auch jene, wie Nordkoreas Chancen bei einem Waffengang wären. Die Antwort laut Militärexperten: Es könnte einen begrenzten Einmarsch im Süden kurzzeitig durchhalten und eventuell Seoul besetzen, erlitte aber enorme Verluste und würde einem Gegenstoß Südkoreas und der USA nicht widerstehen. Für erfolgversprechende Angriffe auf die USA gibt es auch kaum Indizien.
Schwieriges Kampfgebiet
Dabei ist Nordkorea auf dem Papier stärker (Zahlen vom Institut für Strategische Studien in London): Das stehende Militär zählt 1,1 Millionen Mann gegenüber 680.000 im Süden, die Masse sind Heeressoldaten (950.000 versus 560.000). Der Norden hat 3500–4500 Kampfpanzer (Südkorea: 2800), 3000 Schützenpanzer (2500), über 10.000 schwere Rohr- und Raketenartilleriewaffen (4600) und 570 Kampfjets (Süden: 430). An größeren Schiffen soll Nordkorea 63 U-Boote und drei größere Einheiten haben, dazu 150 kleine Raketen- und Torpedoschnellboote. Südkorea hat 47 größere Schiffe, 13 U-Boote und 76 Wachboote.
Das Gros der Truppen steht an der 250 Kilometer langen Grenze. Doch die Zahlen trügen: Das Gelände ist großteils gebirgig, Aktionen mit mechanisierten Truppen sind kaum möglich, allenfalls langsame Infanterieangriffe zu Fuß. Leichtere Angriffsrouten (Flach- und Hügelland) sind nur ein Streifen an der Ostküste und Gebiete nördlich von Seoul (die Kaesong- und Chorwon-Korridore), das 30 bis 50 km von der Grenze entfernt ist. Also hat der Norden die Masse seiner Armee an den Zugängen der Routen stationiert, während der Süden vor allem diese verteidigt und durch Minen und Sperren sichert; Flüsse, Reisfelder und Orte stören dort aber Truppenbewegungen. Ein Angriff Nordkoreas würde sicher mit mächtigen Artillerieangriffen eröffnet, Seoul würde verwüstet, doch wären Bodenstöße nur unter riesigen Verlusten möglich und würden zum Massaker.
Geringer Kampfwert des Nordens
Zudem ist der Norden dem Süden technisch unterlegen, die Hälfte seiner Waffen sind aus den 1950ern- und 1960ern, ihr Zustand ist fraglich, seine Verbände haben schwachen Kampfwert: Obwohl seine mechanisierten Einheiten nach Pentagon-Modellen zahlenmäßig zehn US-Divisionen entsprechen, soll ihr Kampfwert 2,5 US-Divisionen entsprechen. Nordkoreas Armee soll gesamt fünf US-Divisionen gleichen. Iraks Armee galt im Golfkrieg 1990/91 als äquivalent zu sechs US-Divisionen.
Nordkoreas Luftwaffe gilt als chancenlos, höchstens 50 bis 60 Jets sind modern, die Piloten fliegen kaum 20 Stunden im Jahr. Massive Luftangriffe Südkoreas und der USA würden von Anfang an die Angriffswellen zerstückeln und Nachschubrouten stören.
Die USA haben rund 30.000 Mann in Südkorea sowie 300 Jets im Umfeld Koreas. Diese Kräfte würden binnen zehn Tagen verdreifacht, etwa durch die 25. Infanteriedivison aus Hawaii, zwei Brigaden würden rasch folgen, weitere später. Also würde ein Stoß aus dem Norden wohl nach ein bis zwei Wochen gestoppt; ob der Norden dann Seoul und andere Räume halten kann, ist fraglich.
Kaum Langstreckenwaffen
Was Drohungen gegen US-Gebiete betrifft: Nordkorea soll über 900 ballistische Raketen haben, von denen es die meisten nicht einmal nach Japan (530 km entfernt) schaffen. Guam ist 2300 km entfernt, Hawaii 7200. Für Hawaii ist nur die „Taepodong-2“ geeignet, davon gibt es nur wenige, der bisher einzige Testflug scheiterte. Die neue „Musudan“ könnte Guam erreichen, doch flog die noch nie.Nordkorea könnte einige der 22 „Romeo“-U-Boote für Hochseeeinsätze umrüsten, um mit Raketen ferne Häfen anzugreifen. Sie sind aber alt und leicht aufzuspüren.
In Nordkoreas Atombombenarsenal dürften nur zwei bis fünf kleinere Bomben von fragwürdiger Funktionfähigkeit stehen; jedenfalls zu wenig, um zu gewinnen.
Auf einen Blick
Nordkorea hat in den vergangenen Wochen seine Rhetorik gegenüber Südkorea und den USA verschärft. Es kündigte den Waffenstillstandsvertrag nach dem Koreakrieg (1950–53) auf, drohte mit Atomangriffen auf die USA und am Dienstag mit Attacken auf Hawaii, Guam und andere US-Gebiete. Möglicherweise ist es eine überzogene Reaktion auf Manöver der USA und Südkoreas; einen offensiven Waffengang gegen den Süden und die USA dürfte Nordkorea trotz seines Riesenheeres nicht lange durchhalten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2013)