Von den Konflikten in Ex-Jugoslawien ist nur der serbisch-kroatische tatsächlich gelöst. Zwischen Serbien und Kosovo vermittelt Brüssel mit einigem Erfolg, in Bosnien und Herzegowina herrscht Stillstand.
Wien. Es war eine dieser Meldungen, die zwischen Zypern-Krise und Nordkorea gern untergehen: Serbien stehe keineswegs vor der Wahl zwischen EU und dem Kosovo, sagte Präsident Tomislav Nikolić diese Woche: Denn selbst wenn das Land auf seine EU-Annäherung verzichten würde, sei das noch lange keine Garantie dafür, dass der Kosovo Bestandteil Serbiens bleiben werde.
In der Belgrader Politik kehrt Realismus ein. Was viele Serben seit Jahren wissen, räumen nun auch die führenden Politiker immer unverhohlener ein: dass der in der Verfassung verbriefte Anspruch auf den (gesamten) Kosovo nicht einlösbar ist. Ausgerechnet unter einem Präsidenten wie Nikolić, von dem nach wie vor nicht klar ist, wie ernst er es mit der Abwendung vom Ultranationalismus meint, und einem Premier wie Ivica Dačić, der dem Autokraten Slobodan Milošević einst als Sprecher diente, findet erstmals ein ernst zu nehmender Dialog zwischen Serbien und seiner Exprovinz statt, die sich 2008 abspaltete. Vor Kurzem kam es sogar zu einem aufsehenerregenden Händedruck zwischen den Premiers Serbiens und des Kosovo. Vermittler ist die viel gescholtene EU, deren Anziehungskraft auf dem Balkan man nicht unterschätzen darf. Mithilfe Brüssels versucht man nun auch, eine praktikable Lösung für den von Serben dominierten Norden des Kosovo zu finden, wo es noch immer zu ethnisch motivierten Gewaltakten kommt.
Wendepunkt: Entschuldigung für Massaker
Einen solchen Zwischenfall gab es vor Kurzem zwar auch in Dalmatien, als kroatische Jugendliche serbische Priesterseminaristen attackierten, doch das kann das serbisch-kroatische Verhältnis mittlerweile nicht mehr erschüttern. Die kroatische Politik verurteilte den Vorfall denn auch scharf. Nach dem mit Unterbrechungen von 1991 bis 1995 dauernden Krieg und mehr als zehntausend Todesopfern war es für die Nachbarn Serbien und Kroatien nicht leicht gewesen, einen Modus Vivendi zu finden. Man nahm zwar schon 1996 diplomatische Beziehungen auf, das Verhältnis blieb aber angespannt, und auch die Rückkehr geflohener Serben gestaltete sich zäh. Einen positiven Schub erhielten die Beziehungen 2010, als sich Serbiens damaliger Präsident Boris Tadić für das Massaker von Vukovar entschuldigte – in Vukovar. Dort hatten serbische Freischärler und Mitglieder der Jugoslawischen Volksarmee Ende 1991 ein Massaker an mehr als 200 Kroaten verübt, die sie aus einem Spital verschleppt hatten.
1995 ging auch der Krieg in Bosnien und Herzegowina zu Ende, doch dieser Konflikt kann nach wie vor nicht als beigelegt gelten. Es gibt im serbischen Landesteil Republika Srpska weiter Bestrebungen, sich vom Gesamtstaat, dessen Institutionen ohnehin schwach sind, loszulösen. Der ethnische Proporz, der im Friedensvertrag von Dayton als Mittel gesehen wurde, alle Seiten zufriedenzustellen, erwies sich bald als Hemmschuh. Dayton hat den Krieg beendet, aber nicht die Grundlagen für einen funktionierenden Staat gelegt. In Bosnien und Herzegowina versagte bisher auch der sonst wirksame Lockstoff der Staatengemeinschaft: die Aussicht auf eine EU-Annäherung.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2013)