Experten: „Nordkorea kann Hawaii nicht treffen“

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Nordkorea ließ angeblich seine strategischen Raketentruppen aktivieren und deutete Angriffe auf die USA an. Laut Experten eine Illusion: Nordkoreas Langstreckenraketen würden überschätzt.

Die Zeit ist gekommen, um Rechnungen mit den US-Imperialisten zu begleichen“, tönte es in der Nacht auf Freitag aus Pjöngjang, wo das Regime seit Tagen an der Kriegsrhetorikschraube dreht. Man habe die strategischen Raketentruppen in Kampfbereitschaft versetzt, da zwei strategische B-2 „Spirit“-Bomber der US-Airforce einen Übungsflug von den USA nach Südkorea samt Abwurf von Übungsbomben absolviert hatten; die Spirits können Atomwaffen tragen.

In den Wochen zuvor hat Nordkorea den Waffenstillstand nach dem Koreakrieg (1950–53) gekündigt und Südkorea und den USA mit Krieg gedroht, ja mit dem Beschuss von Hawaii und der US-Pazifikinsel Guam, Kernwaffeneinsatz inklusive. Was hinter der Eskalation in dem bettelarmen Land steht, ist unklar, Beobachter rätseln über Machtkämpfe im Regime von Jungdiktator Kim Jong-un (30) und Unzufriedenheit im Volk (rund 25 Millionen Einwohner). Wie lange die Gefechtsbereitschaft der Raketen beibehalten werde, gab Nordkorea nicht bekannt; aus Südkorea hieß es, man habe außergewöhnliche Truppen- und Fahrzeugbewegungen auf Raketenbasen im Norden beobachtet.

Russland äußerte sich besorgt, die Lage könne außer Kontrolle geraten. Einen Angriffskrieg auf Südkorea könnten Nordkoreas nach Zahl überlegene, aber technisch obsolete, unterversorgte Streitkräfte nicht gewinnen, da sind sich Experten einig. Lokale Vorstöße würden rasch stecken bleiben, allenfalls Teile von Seoul könnte der Norden unter hohen Verlusten erobern. Doch welche Gefahr geht von den „strategischen Raketeneinheiten“ aus?

Das geheimnisvolle Arsenal

Die Antwort ist schwierig: Es gibt über Nordkoreas Arsenal wenig handfestes Wissen, man geht in der Regel von mehr als 900 ballistischen Raketen aus. Für die allermeisten davon ist indes schon der Begriff „strategisch“ falsch: 600 bis 800 sollen Reichweiten von unter 700 Kilometer haben, also für Einsätze im vorwiegend taktischen Rahmen. Dabei handelt es sich meist um die „Hwasong“, die Nordkorea in den 1970ern aus sowjetischen „Scud“-Kurzstreckenraketen entwickelt hat. Damit ist Südkorea abgedeckt, Japan aber nur zu kleinen Teilen (geringste Distanz Nordkorea–Japan: etwa 550 km).

Die „Rodong-1“, ebenfalls Scud-Derivat mit „Input“ aus China, kommt auf 1300 km, das reicht aber weder für Guam (etwas 2300 km Distanz), Alaska (4800 km) noch Hawaii (rund 7200 km) Es soll 50 bis 200 Rodongs geben.

Bleiben für Gefährdungen von US-Boden nur zwei bekannte Systeme: „Taepodong-2“ (6500 bis 10.000 km) und „Musudan“, Letztere ist mobil auf einem Schlepper untergebracht. Allerdings gab es von der Taepodong bisher nur einen Teststart, 2006, und der scheiterte; zudem wird das Arsenal auf maximal drei Stück geschätzt.

Die „Musudan“ ist eine eigene Story: Die tauchte 2010 bei einer Parade auf, bald aber mutmaßten Beobachter, dass es Attrappen waren; das war auch bei einer Rakete mit dem Code „KN-08“ so, die man April 2012 erstmals sah: Da passten Teile nicht zusammen, Schrauben hingen raus, die Spitzen hätten den Eintritt von einer außeratmosphärischen Flugbahn zur Erde konstruktionsbedingt nicht überlebt, und es gab Indizien, wonach jede Rakete ein zusammengebasteltes Einzelstück, nicht Produkt einer einsatzreifen Serienfertigung war.

Verletzte China UN-Resolution?

Übrigens: Die Raketenschlepper der KN-08 waren vom Fahrzeugbauer „Casic“ aus China, das ließ sich aufgrund der Bauart (kleines Foto) erkennen. Nordkorea könnte so etwas nicht bauen. Nun ist aber laut Resolution des UN-SicherheitsratS von 2006 die Lieferung von Gegenständen an Nordkorea, die mit Raketen zusammenhängen, verboten. Peking dementiert, die Fahrzeuge geliefert zu haben – im übrigen gebe es für diese auch zivile Anwendungen.

Bei der Musudan, die von einem neueren Russenmodell abstammt, lässt sich die Trefferwahrscheinlichkeit schätzen, und die ist bescheiden: Die „Circular Error Probability“ CEP (sie gibt den Radius an, innerhalb dessen statistisch gesehen 50 Prozent der Raketen treffen) beträgt 1,3 Kilometer. Vergleich: Eine U-Boot-gestützte „Trident II“-Atomrakete der USA hat eine CEP von 100 Metern – bei einer Reichweite von 11.000 km.

Taepodong, Musudan und KN-08 dürften also vorwiegend Phantome sein und (noch) nicht für Atomsprengköpfe taugen, von denen das Land höchstens drei bis fünf von geringer Stärke besitzen dürfte. Von diesen würde, das lässt sich aus militärischen Erfahrungen generell ableiten, wohl ein Drittel bis die Hälfte beim Einsatz aus diversen Gründen versagen. James Hardy, Asien-Pazifik-Experte beim Militärfachblatt „IHS Jane's Defence“, folgert: „Nein, Nordkorea kann Hawaii nicht treffen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2013)

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