Judenpickerl: Ungarns Unis am Weg ins Abseits

Heinrich Schmidinger, dem Chef der österreichischen Universitätenkonferenz, ist besorgt
Heinrich Schmidinger, dem Chef der österreichischen Universitätenkonferenz, ist besorgt(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit an Ungarns Hochschulen: Der Chef der österreichischen Universitätenkonferenz schlägt Alarm.

Wien/Beba. „Juden, die Universität gehört uns, nicht euch!“ Solche Aufkleber fanden sich zuletzt an den Bürotüren von Dozenten der angesehenen Eötvös-Loránd-Universität in Budapest. Anhänger der rechtsextremistischen Partei Jobbik sollen Listen über Erstsemestrige angefertigt haben, in denen vermerkt sei, wer Jude ist. Vorkommnisse, die bei Heinrich Schmidinger, dem Chef der österreichischen Universitätenkonferenz, die Alarmglocken schrillen lassen. „Dass sich Ungarn immer mehr von einem demokratischen Rechtsstaat wegbewegt, ist kein Geheimnis mehr. Aber dass es auch an den Unis durchschlägt, hätte ich nicht erwartet.“

Verstummender Diskurs

Einerseits werde antisemitisches und antidemokratisches Gedankengut bis in die Staatsspitze toleriert, andererseits sei die freie Meinungsäußerung nicht mehr hundertprozentig gewährleistet – auch nicht an den Unis, kritisiert Schmidinger. „Kollegen berichten, dass das geistige und kulturelle Klima an den Unis zunehmend gedämpft wird. Wissenschaftler beginnen, vorsichtig zu sein mit dem, was sie sagen.“ Der argumentative Diskurs, die freie Meinung, die ethischen Regeln, die in einer wissenschaftlichen Einrichtung gegeben sein müssten – all dies sei in Ungarn nicht mehr garantiert.

Schmidinger: „Für die Glaubwürdigkeit der Universitäten ist das die Nagelprobe. Wenn dergleichen einfach akzeptiert wird, manövrieren sich die ungarischen Unis – was sie sicherlich nicht wollen können – aus den Spielregeln der akademischen Gemeinschaft hinaus.“ Man müsse der ungarischen Regierung daher die Konsequenzen aufzeigen, die eine solche Entwicklung über die Landesgrenzen hinaus haben könne: „Folge wäre, dass Ungarns wissenschaftliche Einrichtungen international als Problemfall betrachtet werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dies im Interesse eines Bildungssystems sein kann.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2013)

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