Margaret Thatcher: Eine englische Revolutionärin

Nachruf Eine englische Revolutionaerin
Nachruf Eine englische Revolutionaerin REUTERS/Brian Smith/Files
  • Drucken

Nachruf: Margaret Thatcher, von 1979 bis 1990 Premierministerin Großbritanniens, veränderte ihr Land radikal – und die Welt dazu. Die „Eiserne Lady“ verhalf dem Neoliberalismus zum Durchbruch.

London. In der Öffentlichkeit war sie nach einer Serie kleiner Schlaganfälle schon lange kaum mehr zu sehen gewesen, doch im gesellschaftlichen Bewusstsein ihres Heimatlandes blieb sie bis zur letzten Minute allgegenwärtig. Kein Politiker der Nachkriegszeit hat Großbritannien so geprägt wie die gestern, Montag, im 87. Lebensjahr verstorbene Margaret Thatcher. „Mit großer Trauer geben wir den Tod unserer Mutter bekannt“, meldeten ihre Kinder Mark und Carol. Queen Elizabeth ließ verlauten, sie sei „betroffen“ über das Ableben der „Eisernen Lady“, die nicht nur deshalb Geschichte machte, weil sie als erste Frau britische Premierministerin war.

Das Land, das sie 1979 übernahm, kennt man heute (fast) nur mehr aus sozialkritischen Filmen. Drei Jahre zuvor musste der Internationale Währungsfonds die einstige Weltmacht vor dem Staatsbankrott retten. Im „winter of discontent“ 1978/79 brachten die Gewerkschaften das Land an den Rand des Zusammenbruchs. Die Welle des Unbehagens trug die weitgehend unterschätzte Thatcher ins Amt des Premierministers, das sie elf Jahre innehaben sollte und mit ebenso viel Leidenschaft wie Machtbewusstsein ausfüllte.

Es waren ausgerechnet die Sowjets, die früh den Charakter der konservativen Politikerin erkannten. Die Armeezeitung „Krasnaja Swesda“ verlieh ihr 1976 den Beinamen „Eiserne Lady“. Thatcher trug ihn zeit ihres Lebens als Ehrennamen. In Ronald Reagan, der 1980 US-Präsident wurde, fand sie einen kongenialen Partner. Beiden wird ein bedeutender Anteil am Fall des Eisernen Vorhangs zugeschrieben. Die deutsche Wiedervereinigung hingegen bereitete ihr – ebenso wie Frankreichs Präsidenten François Mitterand („Die Augen von Caligula, aber die Lippen von Marilyn Monroe“, sagte er einst über sie) – tiefes Unbehagen.

Um Großbritannien aus der wirtschaftlichen Malaise zu führen, setzte Thatcher auf die Rezepte der Monetaristen – gnadenlos. „Es gibt immer noch Leute in meiner Partei, die an eine Konsenspolitik glauben. Ich halte sie für Verräter“, sagte sie einmal. Ihr wird der globale Durchbruch des Wirtschaftsliberalismus gedankt (bis 2008) oder vorgeworfen (seither). Als sie in ihrer ersten Amtszeit angesichts dramatisch steigender Arbeitslosigkeit zu einem Kurswechsel aufgefordert wurde, donnerte Thatcher: „Die Lady steht für einen Kurswechsel nicht bereit.“

Damit hatte sie den Ton für ihre gesamte Amtszeit bestimmt. Thatcher dominierte die Regierung wie vor ihr nur Winston Churchill – nur dass sie keinen Widerspruch duldete. Sie war autoritär, gefürchtet und arbeitete rund um die Uhr. „Sie ist der einzige Mann im Kabinett“, wurde gewitzelt. „Wenn Sie Gerede wollen, wenden Sie sich an einen Mann. Wenn Sie Arbeit erledigt haben wollen, beauftragen Sie eine Frau“, blaffte sie zurück.

„Es gibt keine Gesellschaft“

Mehr als vier Stunden Schlaf gönnte sie sich nicht. Die ausgebildete Chemikerin, die an der Entwicklung des Speiseeises mitgearbeitet hatte, war von 1951 bis zu seinem Tod 2003 mit Denis Thatcher verheiratet, einem wohlhabenden Geschäftsmann, der ihr einst die Politik gleichsam als „Hobby“ ermöglicht hatte, und mit dem sie Zwillinge hatte. Für ihre Kinder hatte sie nie Zeit, was sie später bereuen sollte.

Thatcher griff den nach 1945 in Großbritannien geschaffenen Wohlfahrtsstaat radikal und fundamental an. „So etwas wie Gesellschaft gibt es nicht“, sagte sie 1987. Jeder sei für sein Leben selbst verantwortlich. Ihr Weltbild prägte ihr Vater, ein Greißler aus Lincolnshire, der emsiges Streben und gesunde Finanzen zu den beiden Säulen des Lebens machte: „Niemand würde sich an den edlen Samariter erinnern, wenn er nur gute Absichten gehabt hätte – er hatte auch Geld“, sagte sie.

Mit ihrer kleinbürgerlichen Herkunft war Thatcher in der britischen Klassengesellschaft stets eine Außenseiterin. Daraus leitete sie die Bereitschaft zur Konfrontation ab: „Ich liebe den Kampf“, sagte sie sogar noch einen Tag, nachdem ihre Partei sie gestürzt hatte. Auch ihre Beziehungen zum Königshaus blieben unterkühlt. Als 1985 der Bergarbeiterstreik nach einem Jahr mit der totalen Niederlage der Streikenden endete, hatte Thatcher die Gewerkschaft endgültig besiegt. In einem Land wie England war Thatcher eine (konservative) Revolutionärin.

Blair baute auf ihrem Erbe auf

Zunehmend aber verlor sie die Bodenhaftung. Zunehmend schrille antieuropäische Positionen brachten die Siegerin des Falklands-Kriegs 1982 sogar in der eigenen Partei in die Defensive. Eine neuerliche Wirtschaftskrise mit explodierenden Zinsen kostete sie das Vertrauen ihrer wichtigsten Unterstützer.

Als 1990 Proteste in Gewalt ausarteten und sie dennoch unnachgiebig blieb, verlor sie immer mehr Rückhalt. Schließlich zog die Partei die Notbremse, und am 22. November 1990 wurde sie unter Tränen zum Rücktritt bewegt. Sie hinterließ eine beim Thema Europa bis heute zerstrittene Partei, eine zutiefst polarisierte Gesellschaft und eine darniederliegende Wirtschaft.

Der nächste Aufschwung war aber bereits in Sicht, und während jene, die sie gestürzt hatten, bald in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwanden, machte sich die New Labour Party von Tony Blair Thatchers Erbe zu eigen. Nachdem Blairs Regierung dem Land die größte Schuldenlast der Geschichte eingebracht hat, darf heute mit David Cameron wieder ein Konservativer (ziemlich glücklos) als Premier amtieren.

Seine Karriere machte Cameron, indem er die Partei vom Thatcherismus „zu entgiften“ versprach. Einer der ersten Gäste, die er dann in 10 Downing Street empfing, war Margaret Thatcher, deren Wort bis zum Schluss mehr Gewicht hatte, als es das ihres Nachfolgers wohl jemals haben wird.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Thatchers Erbe
Außenpolitik

Großbritannien: Der Streit um Thatchers Erbe

Eine Umfrage zeigt, mit der „Iron Lady“ stünden die britischen Konservativen besser da. Am heutigen Mittwoch wird die Ex-Premierministerin beerdigt.
Britischer „Humor“ leidenschaftlicher Thatcher-Gegner: „Eiserne Lady? Roste in Frieden.“
Außenpolitik

Reizfigur Thatcher: Denkmalpläne und Todespartys

Noch in ihrem Tod spaltet die "Eiserne Lady" Großbritannien. Die Langzeit-Premierministerin Margaret Thatcher polarisiert. Die Feindschaften sind nicht begraben - weder im In- noch im Ausland.
Thatcher im Zitat

''I want my money back''

 Thatcher: „milk snatcher“
Literatur

Margaret-(Gegen-)Kultur: Rohes Steak für Thatcher

Englands erste Premierministerin hypnotisierte Literaten, reizte Filmemacher aufs Blut und ging in die Volkskultur ein. Von „milk snatcher“, „Sado-Monetarismus“ und einer gefürchteten Handtasche.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.