Syrien: Die Frauenbrigade von Aleppo

Frauenbrigade Aleppo
Frauenbrigade Aleppo(c) REUTERS (MUZAFFAR SALMAN)
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In der größten syrischen Stadt kämpfen heute Kurden Seite an Seite mit den Rebellen der Freien Syrischen Armee. Sie verteidigen ihren Stadtteil gegen Assads Regierungstruppen.

Die Räder drehen durch. Selbst der Jeep tut sich schwer auf der steilen Anhöhe, die ein Regenschauer in tiefen Matsch verwandelt hat. Es ist Eile geboten, aus dem offenen Gelände zu verschwinden, man hört Schüsse und Mörserfeuer. Nach Scheik Maksud kommt man nur auf Schleichwegen, will man nicht direkt durch die Schusslinie von Scharfschützen der syrischen Regierungstruppen fahren.

Endlich hat der Jeep den Hügel überquert. In wenigen Minuten fährt man entlang schützender Häuserwände des größten kurdischen Stadtteils am nördlichen Rand Aleppos. Er hat militärstrategisch eine wichtige Bedeutung. Von hier aus kann man die Industriemetropole überblicken und beschießen. Außerdem bekommt man die Kontrolle über wichtige Nachschubwege.

Das Stadtviertel ist menschenleer. Wagen mit Kämpfern der Freien Syrischen Armee (FSA) brausen unter „Gott ist groß“-Rufen durch die Straßen. Einige Minitransporter kommen entgegen, die die Habseligkeiten der letzten Flüchtlinge geladen haben. Der Rest der rund 250.000 kurdischen Einwohner hat das bisher ruhige Viertel verlassen, als sie Ende März der Bürgerkrieg erreichte.

Die Kurdische Demokratische Union (YPG), die seit Beginn des Konflikts im Februar 2011 das Regime von Präsident Bashar al-Assad unterstützte, wechselte überraschend die Seite. Sie öffnete Scheik Maksud der FSA und kämpft mit ihr gemeinsam gegen die Regierungstruppen. Bisher kontrollieren sie etwa die Hälfte des Stadtteils.

Waffenlieferungen aus Kroatien

Nach 15 Minuten Fahrt wird die Basis der FSA erreicht. Von Weitem erkennt man Duschkas und andere schwere Maschinengewehre, die auf den Ladeflächen der geparkten Pick-ups aufgebaut sind. Rund 150 Kämpfer sind draußen auf den Beinen. Ein Regime-Scharfschütze hatte auf sie geschossen. Ein FSA-Kämpfer feuert in die Richtung, in der er den Scharfschützen vermutet. Danach wird vom Balkon im vierten Stock eines der verlassenen Wohnhäuser noch auf ihn geschossen. Ob man den Feind getroffen hat, ist nicht sicher. Die Seitenstraße wird laufend überquert. Wenig später geht ein Mörser nieder. Die Mehrzahl der Kämpfer eilt plötzlich an die Front. „Die Schergen von Assad wollen vordringen“, sagt einer von ihnen. „Aber sie haben keine Chance.“

Eine Gruppe von Rebellen steht rätselnd um eine Panzerabwehrgranate gebeugt. Vergeblich versuchen sie sich einen Reim aus der tschechischen Gebrauchsanweisung zu machen. Es ist eine alte RPG-75, Baujahr 1975. Sie könnte Teil der Waffenlieferung aus Kroatien sein. Zwischen November und Februar sollen 3000 Tonnen, bezahlt von Saudiarabien, transportiert von türkischen und jordanischen Flugzeugen unter logistischer Hilfe Großbritanniens nach Syrien geschmuggelt worden sein. „Wir haben sie von einer anderen Gruppe gekauft“, sagt der Kämpfer. „Insgesamt acht Stück, für je 10.000 Dollar.“ Obwohl die Rebellen noch immer nicht sicher sind, wie die RPG-75 funktioniert, wird sie mit an die 500 Meter nahe Front genommen. „Dort unten am Hügel stehen zwei, drei Panzer. Da kann man sie gut gebrauchen.“

Zwei Querstraßen weiter befindet sich ein Stützpunkt der Miliz der YPG. Die mehr als 100 kurdischen Kämpfer haben ihr Hauptquartier in einem ehemaligen Friseursalon eingerichtet. Neben den Spiegeln hängt ein Bild von PKK-Führer Abdullah Öcalan. Einige Milizionäre machen gerade Pause vom Krieg. Es gibt Wurst aus der Dose, Tomaten, Gurken und Tee. Unter ihnen sind zwei Mädchen: Chufna (18) und Amara (19). Bei der arabischen FSA sind weibliche Kämpfer unvorstellbar – erst recht welche ohne Kopftuch. „Wir sind völlig gleichberechtigt“, versichert Chufna. „Niemand belächelt uns.“ Die umstehenden Männer der YPG nicken zustimmend. „Wir haben schon viele getötet“, meint Amara. Ihr mache das nicht viel aus. „Wir verteidigen uns nur“, erklärt sie schulterzuckend. Die beiden Kämpferinnen gehören seit einem Jahr zu einer Brigade, die sich ausschließlich aus 700 Frauen zusammensetzt.

Kampf seit dem 13. Lebensjahr

Der Weg an die Front dauert nur zehn Minuten. Über Hinterhöfe, durch eingeschlagene Löcher in Wänden, durch Wohnungen, in denen völliges Durcheinander herrscht. Matratzen, Wäsche, Kleidung und Möbel liegen wild durcheinander. Auf einem Stapel liegt verlassen ein kleiner Teddybär. Im dritten Stock einer Wohnung bringt Chufna ihr russisches Maschinengewehr an einer Tür in Position. Im Nebenraum legt sich auch Amara auf dem Boden in Position. Für die nächsten Stunden werden sie hier Ausschau nach Scharfschützen und möglichen Truppenbewegungen der syrischen Armee halten. Die beiden Mädchen bekommen letzte Anweisungen von ihrer Kommandantin Rocan, bevor sie mit zwei weiteren Kämpfern alleingelassen werden. Die 27-jährige Rocan kämpft seit ihrem 13. Lebensjahr für die PKK und war im Iran, im Irak und in der Türkei. Ihre Befehle akzeptieren auch 40-jährige Männer ohne Murren.

Unabhängig von der PKK

Der Militärchef der YPG-Miliz in Scheik Maksud will von der PKK nichts wissen. Gemeinhin gilt die syrische YPG als ein Ableger der türkischen Organisation. „Wir sind unabhängig. Unser Führer ist PKK-Führer Öcalan, aber in Syrien bestehen spezifische Gegebenheiten, die nur wir lokal lösen können.“

Auf dem Rückweg geht es wieder laufend über zwei Scharfschützenstraßen. Panzergrollen ist zu hören: Abschuss und Einschlag. Am Abhang hinunter kommt der Jeep im tiefen Matsch ins Schleudern und dem Geländer eines Abwasserkanals gefährlich nahe. Dann ist der Weg frei. Über Umwege geht es an den vom Regime kontrollierten Gebieten vorbei in Richtung Zentrum von Aleppo.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2013)

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